Bundeskartellamt und österreichische Bundeswettbewerbsbehörde veröffentlichen Entwurf eines Leitfadens zum neuen Schwellenwert in der Fusionskontrolle

Blogserie zur 9. GWB-Novelle

Seit 2017 gilt in Deutschland und Österreich ein neuer Schwellenwert in der Fusionskontrolle, der nicht mehr von den Umsätzen der beteiligten Unternehmen abhängt, sondern dem Wert der Transaktion. Auch der Erwerb eines Unternehmens ohne Umsätze wie z.B. eines Start-ups muss danach angemeldet werden, wenn der Wert der Gegenleistung EUR 400 Mio. (Deutschland) bzw. EUR 200 Mio. (Österreich) überschreitet und das Zielunternehmen “erhebliche Inlandstätigkeit” aufweist (siehe unseren Blog dazu hier).

Die Bestimmung der Gegenleistung oder der Inlandstätigkeit wirft allerdings in der Praxis häufig erhebliche Probleme auf. Sind Earn-out-Klauseln bei Biotech-Unternehmen als Bestandteil der Gegenleistung zu behandeln? Ist ein Unternehmen erheblich in Deutschland tätig, auch wenn es weniger als EUR 5 Mio. Umsatz erzielt?

Diese und andere Fragen wollen das Bundeskartellamt und die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde mit ihrem am 14. Mai 2018 veröffentlichten Entwurf eines gemeinsamen Leitfadens zu den neuen Transaktionswert-Schwellen beantworten.

Die Transaktionsschwellen seit der 9. GWB-Novelle

Mit der Novellierung des § 35 Abs. 1a GWB führte der Gesetzgeber ein neues, subsidiäres Anknüpfungsmoment für die Anmeldepflicht in der Fusionskontrolle ein und schloss damit eine Lücke im System der Fusionskontrolle. Danach kann ein Zusammenschluss auch dann anmeldepflichtig sein, wenn zwar eines der beteiligten Unternehmen in Deutschland nicht die zweite Inlandsumsatzschwelle von EUR 5 Mio. Umsatz erreicht, aber (1) der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als EUR 400 Mio. beträgt, (2) mindestens ein Unternehmen deutsche Umsätze von EUR 25 Mio. aufweist und (3) das Zielunternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig ist. Primär sollen dadurch Akquisitionen besonders hoch bewerteter Start-up-Unternehmen (“Unicorns”) erfasst werden, die zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses noch nicht die geforderte Umsatzschwelle erreichen. Die Prüfung der “Einverleibung” eines solchen Zielunternehmens soll verhindern, dass ein marktführendes Unternehmen aufstrebende Konkurrenten in einem frühen Entwicklungsstadium aufkauft und dadurch Innovationspotentiale und Innovationswettbewerb in Technologiemärkten gefährdet. Auch im Pharma- und Biotechbereich spielen die neuen Schwellenwerte eine große Rolle.

Mit dem nun veröffentlichten ersten Entwurf eines Leitfadens für die öffentliche Konsultation soll auf Grundlage erster Erfahrungen ein “Level Playing Field” für betroffene Unternehmen geschaffen werden. Die Behörden gehen darin insbesondere auf drei Themen ein: (1) die Ermittlung des Werts der Gegenleistung, (2) die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe “erheblicher Umfang der Inlandstätigkeit” und (3) Abweichungen im Rahmen des Zusammenschlusstatbestandes bei Asset Deals.

Ermittlung der Gegenleistung

Bei der Ermittlung des Transaktionswertes ergeben sich zwangsläufig Probleme aus der Vielzahl an Vertragsgestaltungsmöglichkeiten. Klar ist, dass der Gegenwert einer Transaktion alle Vermögensgegenstände und sonstigen geldwerten Leistungen inklusive der Übernahme von Verbindlichkeiten erfasst, unabhängig davon, ob sie schon geleistet sind oder erst nach Vollzug fällig werden. Dies schließt auch zukünftige und variable Kaufpreisbestandteile mit ein, was regelmäßig bei Wertpapieren, Earn-Out-Zahlungen oder Barmitteln in Fremdwährungen, Unklarheiten in der Wertermittlung provoziert. Das kann dazu führen, dass eine Anmeldepflicht bis zum Vollzug entfällt oder entsteht. Die Anmeldepflicht lebt aber nicht auf, wenn sich nach Vollzug eine spätere Wertänderung bereits berücksichtigter Gegenleistungen ergibt. Entscheidend ist eine “Bestandsaufnahme und Prognose” für den Zeitpunkt des Vollzugs des Zusammenschlusses. Betroffene Unternehmen sind daher gut beraten, die nach den von der Behörde vorgeschlagenen Methoden erfolgte Wertermittlung zu dokumentieren, um im Falle einer Überprüfung durch die Kartellbehörde gewappnet zu sein.

Die Wertermittlung muss plausibel sein. Dabei kann eine voneinander unabhängig dargelegte und erläuterte Wertermittlung sowohl durch Erwerber, als auch Veräußerer die Plausibilität erhöhen. Unsicherheiten bezüglich des Transaktionswertes gehen im Zweifel zu Lasten der Beteiligten. Der Leitfaden führt aus, dass eine schriftliche Bestätigung des ermittelten Gegenleistungswerts durch die Unternehmensleitung zur Verlässlichkeit der Angaben beitragen kann und im Regelfall sogar eine Richtigkeitsvermutung für die Wertbestimmung auslöst. Die Bestätigung sollte sich auch auf die Methode der Wertermittlung erstrecken.

Schließlich erfassen die Neuregelungen auch Neugründungen von Gemeinschaftsunternehmen einschließlich Vorratsgesellschaften, wobei dann der Transaktionswert aus der Summe der übertragenen Gegenleistungen gebildet wird.

In Zweifelsfällen regt das Bundeskartellamt eine vorsorgliche Anmeldung an, um einem Verstoß gegen das Vollzugsverbot vorzubeugen.

Erhebliche Inlandstätigkeit des Zielunternehmens

Der “erhebliche Umfang der Inlandstätigkeit” des Zielunternehmens wirft schon begrifflich viele Fragen auf. Die Feststellung des Inlandsbezuges bzw. der Inlandstätigkeit bereitet zwar weniger Schwierigkeiten. Sie muss lediglich aktuell sein, d.h. zum Zeitpunkt der Anmeldung vorliegen. Rein zukünftige oder voraussichtliche Tätigkeiten reichen nicht. Die Gretchenfrage ist aber, ab wann der Umfang der Inlandstätigkeit erheblich ist. Auf eine quantitative Festlegung wurde im Gesetz verzichtet und insbesondere der (geringe oder fehlende) Umsatz ist gerade kein taugliches Abgrenzungskriterium.

Die Behörden setzen an das wirtschaftliche und wettbewerbliche Potential des Zielunternehmens an. Entscheidend sei, ob die bisherigen Umsatzerlöse des Zielunternehmens seine Marktposition und sein wettbewerbliches Potential widerspiegeln (Rn. 79). Hier könnte der Umsatz allerdings dann doch eine Art Faustformel begründen: Je länger das Target am Markt tätig ist und Umsätze unter 5 Mio. € erzielt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Umsätze nicht Ausdruck des geringen wettbewerblichen Potentials sind. Anders stellt es sich dar, wenn ein Start-up erst kurz am Markt ist und allein deshalb noch keine Umsätze erzielt.

Einheitliche Kriterien für die Messung dieses Umfangs scheiden aber aus und man muss sich damit begnügen, dass für unterschiedliche Branchen und Tätigkeiten unterschiedliche Kriterien anzusetzen sind, wenngleich die Behörden betonen, dass die Messung anhand branchenüblicher, nicht leicht manipulierbarer Größen erfolgen soll. Im digitalen Bereich könnten etwa Nutzerzahlen oder die Zugriffshäufigkeit Indikatoren sein. Ist das Zielunternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung in Deutschland tätig, könnten die Anzahl der damit betrauten Mitarbeiter, sowie das Forschungs- und Entwicklungsbudget herangezogen werden. Auch die Anzahl von Patenten oder Patentanmeldungen im Pharmabereich ist nach dem Leitfaden ein Kriterium.

Eintritt in eine bestehende Marktstellung

Auch unter der neuen Transaktionswert-Schwelle muss zudem der Zusammenschlusstatbestand erfüllt sein. Unproblematisch ist dies beim Erwerb von Unternehmensanteilen. Fraglich ist dies hingegen, wenn nur einzelne Vermögensgegenstände im Rahmen eines Asset Deals oder einer Lizenzvereinbarung (wie häufig im Pharmabereich) erworben werden. Nach der bisherigen Praxis musste der erworbene Vermögensgegenstand unter anderem die Möglichkeit bieten, in die bereits vorhandene Marktstellung des Veräußerers einzutreten. Andernfalls ist nicht von einem “wesentlichen Vermögensteil” auszugehen und somit kein Zusammenschlusstatbestand erfüllt.

Erzielt das Zielunternehmen aber noch keine Umsätze, kann von einer bereits vorhandenen Markstellung nicht die Rede sein. Der Leitfaden führt aus, dass es nach der 9. GWB-Novelle ausreichend sei, dass die Transaktion die künftige Marktstellung des Erwerbers beeinflusst. Bereits die Möglichkeit, dass sich der Erwerber mithilfe des erworbenen Vermögens eine Marktstellung aufbaut – oder auch den erworbenen Vermögensteil gar nicht nutzt – wird der Fusionskontrolle unterworfen, um Innovationspotentiale in Technologiemärkten zu schützen.

Verfahrensfragen und Ausblick

Auch wenn der Leitfaden derzeit erst im Konsultationsverfahren ist, ist davon auszugehen, dass er weitgehend die Praxis des Bundeskartellamts und der Bundeswettbewerbsbehörde in Österreich widerspiegelt. Im Verfahren vor den Behörden sind zukünftig Angaben zum Transaktionswert ebenso wie zu seiner Ermittlung zu machen, sofern die Umsatzschwellen nicht erreicht werden. Der Leitfaden sieht vor, dass Unternehmen die Wertermittlung in einem gängigen EDV-Tabellenkalkulationsprogramm darstellen und dies den Behörden zur Verfügung stellen. Zudem sind auch Angaben zu Art und Umfang der Inlandstätigkeit erforderlich.

Einige bislang unklare Sachverhaltskonstellationen werden durch den Leitfaden aufgeklärt. Insbesondere die Ausführungen zur Wertermittlung machen die Anforderungen und Erwartungshaltung der Behörden einer Anmeldung deutlich. Aufwändig wird sich indes die Entwicklung und Anwendung von Kriterien zur Bestimmung der Erheblichkeit des Umfangs der Inlandstätigkeit erweisen. Hier sind die Ausführungen im Leitfaden auf verhältnismäßig unproblematische Fälle zugeschnitten, so dass einige Konstellationen offen bleiben.

Die neue Transaktionswertschwelle sollte nicht zu extensiv ausgelegt und insbesondere nicht als Auffangtatbestand für Fallgruppen verstanden werden, bei denen das Zielunternehmen unter der Umsatzschwelle von EUR 5 Mio. bleibt. Laut Gesetzesbegründung geht der Gesetzgeber von nur drei Anmeldungen unter der neuen Schwelle pro Jahr aus. Berücksichtigt man die große Zahl von Transaktionen, bei denen der Erwerber allein die beiden deutschen Umsatzschwellen erreicht und bei denen der Transaktionswert über EUR 400 Millionen liegt, heißt dies im Umkehrschluss, dass das Kriterium der erheblichen Inlandsauswirkung restriktiv zu lesen ist, um wirklich nur “Unicorn-Deals” zu erfassen. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundeskartellamt sich dieser Lesart der gesetzgeberischen Intention anschließt.