BGH klärt Teilaspekte des Streits um das sog. „Vorher-Nachher“-Prinzip bei der Umwandlung einer Aktiengesellschaft (AG) in eine SE.

Bei der Umwandlung einer Aktiengesellschaft (AG) in eine SE soll das sog. „Vorher-Nachher″-Prinzip den in der AG bestehenden Umfang der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat sichern und eine Absenkung des Umfangs der Mitbestimmung in der zukünftigen SE verhindern.

Dieses Prinzip führt in der Praxis bei Umwandlungen häufiger zu Streit. Der BGH hat mit Beschluss vom 23. Juli 2019 (II ZB 20/18) nun zumindest einen Teilaspekt geklärt.

Frage der maßgeblichen Zusammensetzung des Aufsichtsrats als Dauerbrenner bei SE-Gründungen

Seit Jahren wird bei SE-Gründungen über die Frage gestritten, ob es für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der SE auf den vor der Umwandlung in eine SE tatsächlich praktizierten Zustand (Ist-Zustand), oder den bei Zugrundelegung der objektiven Rechtslage maßgeblichen Umfang der Mitbestimmung im Aufsichtsrat (Soll-Zustand) der AG ankommen soll.

Wichtig ist diese Frage bei der SE-Gründung deswegen, weil die Unternehmensleitung und das zuständige besondere Verhandlungsgremium („bVG″) zwar bei Abschluss der zwischen Ihnen zu verhandelnden Beteiligungsvereinbarung weitgehende Gestaltungsspielräume haben, sie hierdurch aber nicht den bestehenden Umfang der Mitbestimmung absenken dürfen (§ 21 Abs. 6 SEBG). Zudem bleibt auch in Fällen, in denen die Verhandlungen mit dem bVG ohne Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung scheitern und die gesetzliche Auffanglösung eingreift, nach § 35 SEBG ausdrücklich der Umfang der Mitbestimmung erhalten, der vor der Umwandlung in der AG bestand. Um es mit den Worten des LG Berlin (Beschluss v. 1. April 2019 – 102 O 120/17 AktG) zu sagen: Besteht keine Mitbestimmung im Unternehmen und geht die Gesellschaft damit mit einem Mitbestimmungsbesitzstand „Null″ in die Beteiligungsverhandlungen, beträgt die gesetzliche Mitbestimmungs-Auffanglösung nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG ebenfalls „Null″.

In beiden Konstellationen ist mithin das Vorher-Nachher-Prinzip für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats maßgeblich:

  • Kommt es bei der Anwendung des Vorher-Nachher-Prinzips auf den vorher tatsächlich praktizierten Zustand (Ist-Zustand) an, wird dieser mit der SE-Gründung unabhängig davon festgeschrieben, ob dieses Ergebnis der objektiven Rechtslage vor der SE- Gründung unter Zugrundelegung der maßgeblichen Schwellenwerte und Zurechnungsregelungen entsprach. Mit der Umwandlung in eine SE sind die Mitbestimmungsregelungen des DrittelbG. bzw. des MitbestG nicht mehr anwendbar (so LG Berlin, Beschluss v. 7. Mai 2019 – 102 O 120/17, anhängig KG Berlin, 14 W 45/19 m.w.N.).
  • Ist der Soll-Zustand maßgeblich, wonach es auf die objektive Rechtslage vor der SE-Gründung ankommt und wurde die gesetzliche Mitbestimmung in der AG bislang nicht „gelebt″, würde sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats im Zuge der SE-Gründung hingegen ändern. In der SE wäre der Aufsichtsrat dann nämlich mitbestimmt. Ein „Einfrieren″ des bisherigen faktisch mitbestimmungsfreien Zustandes wäre dann nicht mehr möglich (außer in den Fällen natürlich, in denen vor der SE-Gründung auf die AG nach objektiver Rechtslage weder das DrittelbG, noch das MitbestG anzuwenden waren).

In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung wurde bislang unter Verweis auf das aktienrechtliche Kontinuitätsprinzip überwiegend der tatsächlich bestehende Zustand („Ist-Zustand″) für maßgeblich gehalten (vgl. LG München I, Beschluss v. 26.Juni 2018 – 38 O 15760/17, LG Frankfurt a.M., Beschluss v. 21. Dezember 2017 – 3-05 O 81/17, ebenso LG Berlin, Beschluss v. 1. April 2019 -102 O 120/17 „Erzberger vs. Axel Springer″, anhängig KG Berlin, 14 W 45/19). Die Gegenansicht verweist hingegen darauf, dass diese Ansicht den Rechtsgrundsätzen der SE-Richtlinie und dem SEBG nicht gerecht werde und es auf den Schutz „erworbener″ Rechte ankomme (vgl. u.a. Kienast, in Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, 2. Auflage 2015, Kap. 13 Rn. 23 m.w.N., Forst in Gaul/Ludwig/Forst Europäisches Mitbestimmungsrecht 2015 § 2 Rn. 464; OLG Frankfurt Beschluss v. 27. August 2018 – 21 W 29/18 vgl. zum Meinungsstand BGH v. 23. Juli 2019 a.a.O. m.w.N. sowie Kienast/Jares).

Die Entscheidung des BGH: Frage der maßgeblichen Zusammensetzung des Aufsichtsrats (Ist- oder Soll-Zustand) zum Teil geklärt

Mit Beschluss vom 23. Juli 2019 (II ZB 20/18) hat der BGH nun entschieden, dass es auf den Soll-Zustand jedenfalls dann ankommt, wenn bereits vor der Eintragung einer durch formwechselnde Umwandlung gegründeten, dualistisch aufgebauten SE in das Handelsregister ein aktienrechtliches Statusverfahren (§§ 97 ff. AktG) eingeleitet wurde und die Auffangregelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer kraft Gesetz (§§ 34 ff. SEBG) eingreifen.

Im dortigen Fall war eine formwechselnde Umwandlung einer AG in eine SE umgesetzt und eingetragen worden. Die Gesellschaft beschäftigte vor der Umwandlung 205 Arbeitnehmer. Unter Einbeziehung weiterer zu dem Konzern der Antragsgegnerin gehörender Gesellschaften betrug die Gesamtzahl der Beschäftigten 1.046. Ein Beherrschungsvertrag bestand nur mit höchstens zwei dieser Gesellschaften. Außerdem hielt die Gesellschaft eine Beteiligung von 49 % an einer Betriebs-GmbH, die etwa 1.300 Arbeitnehmer beschäftigte. Die konzernrechtliche Zurechnung dieser Gesellschaft und damit die mitbestimmungsrechtliche Zurechnung ihrer Arbeitnehmer war streitig. Der Aufsichtsrat der AG hatte vor der Umwandlung ausschließlich aus Vertretern der Anteilseigner bestanden. Eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung gemäß § 21 SEBG wurde nicht geschlossen. Noch vor Eintragung der Umwandlung in eine SE war durch einen Aktionär der AG ein Statusverfahren nach § 98 AktG mit dem Ziel eingeleitet worden, die Mitbestimmung im Aufsichtsrat der zukünftigen SE der objektiven Rechtslage anzupassen. Der Antragsteller war der Ansicht, dass der Aufsichtsrat richtigerweise zur Hälfte oder jedenfalls zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen müsse. Die Antragsgegnerin trat dem entgegen. Das Landgericht Frankfurt a.M. hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde u.a. des Antragstellers wurde der Beschluss des Landgerichts durch das OLG Frankfurt a.M. (Beschluss v. 27. August 2018 – 21 W 29/18) aufgehoben. Nach Ansicht des OLG Frankfurt kam es entscheidend auf die konzernrechtliche Zuordnung der Betriebs-GmbH an, da sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der SE gemäß § 35 Abs. SEBG nicht nach der vor Eintragung der SE in das Handelsregister tatsächlich praktizierten Mitbestimmung (Ist-Zustand), sondern nach der rechtlich gebotenen Mitbestimmung (Soll-Zustand) richte (vgl. dazu Kienast/Jares). Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen diese Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. hatte im Ergebnis keinen Erfolg.

Der BGH hat die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. in seinem Beschluss vom 23. Juli 2019 (II ZB 20/18) in einem wichtigen Teilaspekt bestätigt. Danach kommt es für die im Rahmen des Statusverfahrens festzulegende Zusammensetzung des Aufsichtsorgans der SE darauf an, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften richtigerweise zusammenzusetzen war (Soll-Zustand). Dies folgt nach Ansicht des BGH insbesondere daraus, dass die Einleitung des Statusverfahrens den vor der Umwandlung bestehenden „Ist-Zustand″ mitpräge. Dieser Umstand nehme der bis dahin praktizierten Zusammensetzung des Aufsichtsrats ihre Verbindlichkeit für den Mitbestimmungsstatus der SE und öffne die bisherige Handhabung für eine Korrektur nach Maßgabe der einschlägigen Mitbestimmungsregelungen. Dafür, dass diese Korrekturmöglichkeit mit der Eintragung nicht entfalle, spricht nach Ansicht des BGH neben Ziel und Zweck des SEBG auch die SE-Richtlinie (RL 2001/86/EG v. 8. Oktober 2001), deren fundamentaler Grundsatz und Ziel die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen sei.

Ob bei der Umwandlung einer AG in eine SE stets auf den vorher nach objektiver Rechtslage maßgeblichen Soll-Zustand, oder den tatsächlich praktizierten Ist-Zustand abzustellen ist, hat der BGH in seinem Beschluss vom 23. Juli 2019 jedoch ausdrücklich offengelassen. Er hat nur den Fall entschieden, in dem ein Statusverfahren vor der Eintragung der SE bereits anhängig gemacht worden war.

Klares Zeichen an die Praxis: Das Statusverfahren als maßgeblicher Anknüpfungspunkt

Damit sendet die Entscheidung des BGH ein klares Zeichen an die Praxis. Denn ebenso wie die Vorinstanz (OLG Frankfurt, Beschluss v. 27. August 2018 – 21 W 29/18) stellt der BGH nicht das aktienrechtliche Kontinuitätsprinzip und den Umstand in den Vordergrund, dass der aktienrechtliche Aufsichtsrat bis zur gegenteiligen Feststellung im Statusverfahren als gesetzmäßig besetzt gilt, sondern Sinn und Zweck des SEBG sowie der SE-Richtlinie. Danach dient das Vorher-Nachher-Prinzip des SEBG dazu, den Verlust von Mitbestimmungsrechten bei der Gründung einer SE zu verhindern, die den Arbeitnehmern bis dahin zugestanden hatten. Ausgehend von dieser Zwecksetzung sprechen in der Tat die besseren Gründe dafür, dass es auf die objektive Rechtslage ankommen muss, da die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer der AG materiell auch ohne ihre Feststellung bestehen. Sie stehen den Arbeitnehmern unabhängig von ihrer Feststellung zu und würden beseitigt, wenn man allein auf die praktizierte Mitbestimmung abstellte (vgl. dazu Kienast/Jares). Dieses Ergebnis hat der BGH allerdings nur für ein bereits eingeleitetes Statusverfahren bestätigt.

Hinweise für die Praxis: Prüfung der (richtigen) Zusammensetzung des Aufsichtsrats und etwaiger Alternativen zur SE-Gründung unerlässlich

Die Praxis wird sich vor diesem Hintergrund nicht darauf verlassen können, dass der BGH in künftigen Fällen instanzgerichtliche Entscheidungen bestätigen wird, die den Ist-Zustand für maßgeblich halten. Ob der BGH die Maßgeblichkeit des Soll-Zustands auch für solche Fälle bestätigen wird, in denen noch kein Statusverfahren anhängig ist, ist ebenfalls noch offen.

Die Praxis muss jedenfalls in den Fällen einer SE-Gründung, die im Wege der formwechselnden Umwandlung erfolgen, davon ausgehen, dass sich die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der SE künftig nach dem gesetzlichen Sollzustand richtet. Das hat der BGH zwar wie dargestellt bisher nur für den Fall eines eingeleiteten Statusverfahrens entschieden; eine Entscheidung des BGH in diese Richtung in solchen Fällen, in denen ein Statusverfahren vor Eintragung der SE nicht eingeleitet wurde, würde aber dem Sinn und Zweck des SEBG sowie der SE-Richtlinie entsprechen.

Daraus folgt: Es muss künftig vor einer SE-Gründung umso sorgfältiger geprüft werden, ob die maßgeblichen Schwellenwerte und Zurechnungsregelungen bisher schon zu einer Anwendbarkeit des DrittelbG oder des MitbestG führen. In diesen Fällen wird man – nun erst recht – denkbare Alternativen wie eine grenzüberschreitende Verschmelzung oder ein Ausscheiden von Tochterunternehmen aus der Beherrschung in Betracht ziehen müssen. Jedenfalls kann man sich nicht darauf verlassen, dass die Gerichte den „Ist-Zustand“ für maßgeblich halten werden. Die BGH-Entscheidung vom 23. Juli 2019 tendiert jedenfalls nicht in diese Richtung.