Am 13. Mai 2021 hat die italienische Wettbewerbsbehörde (Autorità Garrante della Concorrenza e del Mercato, AGCM) gegen Alphabet Inc.[1], Google LLC[2] und Google Italy S.r.l.[3] (Google) eine Geldbuße von 102.084.433,91 Euro wegen Verstoßes gegen Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auf dem Markt für Betriebssysteme für smart devices (intelligente Mobilgeräte) verhängt[4].
Google ist ein wichtiger Global Player in der digitalen Wirtschaft und verfügt über eine sehr bedeutende Finanzkraft. Durch das Android-Betriebssystem und den App-Store Google Play hat Google eine marktbeherrschende Stellung inne, die es ihm ermöglicht, den Zugang von App-Entwicklern zu den Endbenutzern zu kontrollieren[5]. Laut der italienischen Behörde nutzen etwa drei Viertel der Smartphones in Italien das Android-System[6].
Das von Google aufgebaute Ökosystem für intelligente Mobilgeräte umfasst unter anderem das System Android Auto. Diese Erweiterung ermöglicht die Anzeige auf dem Bildschirm und die Nutzung bestimmter Apps und Smartphone-Funktionen, wie z. B. Anrufe und Nachrichten, über die Bedienelemente des Fahrzeugs und Sprachbefehle, um die Anforderungen an die Sicherheit und die Verringerung von Ablenkungen zu erfüllen. Durch die Google Maps-App hingegen, stellt Google nicht nur statische Informationen über Orte und Wegbeschreibungen zum Erreichen von Zielen zur Verfügung, sondern auch Echtzeitinformationen über Verkehr, Geschäfte und weiter Funktionen in einem bestimmten Gebiet sowie Buchungsdienste durch Vereinbarungen mit Drittanbietern.
Der internationale Energiekonzern Enel ist über die Tochtergesellschaften Enel X Italia S.p.A. (Enel X Italia) und Enel X Mobility S.r.l. (Enel X Mobility) auch im Bereich der Elektromobilität (E-Mobilität) aktiv. Erstere bietet Endkunden Elektromobilitätsdienstleistungen (Mobility Service Provider, MSP) an, während letztere als Ladestellenbetreiber (Charging Point Operator, CPO) agiert. Im 2018 hat Enel X Italia die JuicePass-App[7] (früher als Enel X Recharge bekannt) entwickelt, die verschiedene Auflade-funktionen von Elektrofahrzeugen bietet. Insbesondere bietet die App folgendes: nach einer Ladestation suchen (sowohl die von Enel als auch die von anderen Betreibern, die Vereinbarungen mit Enel unterzeichnet haben), auf Informationen zur Durchführung des Aufladens zugreifen (Art der Steckdose, Status der Steckdose, maximal lieferbare Leistung, Verfügbarkeit der Ladestationen usw.), die Ladestationen buchen, die Routen rechnen, um die Ladestationen zu erreichen und die Aufladung zu starten, beenden, überwachen und bezahlen.
Im selben Jahr hat Enel X Italia Google beantragt eine mit Android Auto kompatible Version der JuicePass-App auf Google Play zu veröffentlichen. Letztere bestreitet jedoch die Veröffentlichung mit der Begründung, dass auf Android Auto nur drei Kategorien von Apps vorhanden sein können, nämlich nur Messaging-, Medien- und Navigations-Apps, d.h. keine Apps die Auflade-funktionen anbieten. Stattdessen schlägt Google alternative Lösungen vor, die sich nicht mit dem Gegenstand des Antrags befassten, sondern lediglich die bereits innerhalb von Google selbst beschlossenen Handlungslinien wiederholten[8].
Infolgedessen hat die AGCM am 8. Mai 2019 eine Untersuchung eingeleitet[9], nachdem Enel X Italia ein Bericht vorgelegt hatte.
Wie es aus den Ergebnissen der Wettbewerbsbehörde hervorgeht, hat Google durch die Verweigerung der Interoperabilität von JuicePass-App mit Android Auto auf unfaire Weise den Endnutzern die Möglichkeit eingeschränkt, die Enel X Italia-App beim Fahren und Aufladen eines Elektrofahrzeugs zu verwenden. Google hat folglich die eigene Google Maps-App bevorzugt, die auf Android Auto läuft und funktionale Dienste für das Aufladen von Elektrofahrzeugen ermöglicht. Diese beschränken sich derzeit auf das Finden und Abrufen von Wegbeschreibungen zum Erreichen von Ladestationen, aber in Zukunft könnten sie auch andere Funktionen wie Reservierung und Bezahlung umfassen.
Laut der AGCM sind Android und Google Play unverzichtbare Produkte für App-Entwickler, die das breitere Spektrum der Endnutzer von intelligente Mobilgeräte erreichen möchten, d.h. nicht diejenigen die iOS-basierte intelligente Mobilgeräte verwenden. Die Definition und Bereitstellung von Programmierwerkzeugen für Android Auto-kompatible Apps durch Google ist also eine Voraussetzung dafür, dass Drittentwickler in der Lage sind, Endnutzern Apps anzubieten, die während der Fahrt einfach und sicher genutzt werden können[10].
Darüber hinaus darf der Entwickler einer App, die während des Fahrens verwendet werden soll, die Interoperabilität mit Android Auto nicht ignorieren, denn fast alle intelligente Mobilgeräte, deren Betriebssystem sich von iOS unterscheidet, benutzen Android und in Italien wird Android auf etwa drei Viertel der Smartphones und der Hälfte der Tablets verwendet[11]. Außerdem ist für den fahrenden Nutzer die modifizierte und vereinfachte Benutzererfahrung über Android Auto nicht durch die reichhaltige Interaktionserfahrung des Smartphones ersetzbar, und Android Auto ist auch nicht durch andere technologische Lösungen für die Nutzung von Apps über Infotainmentsysteme[12] ersetzbar[13].
Letztendlich hängt die Veröffentlichung einer App auf Android Auto ausschließlich von den geschäftlichen Entscheidungen von Google ab, das die einzige Quelle für Programmiertools für Android Auto ist, während sich der Entwickler an die von Google entwickelte technologische Umgebung nur anpassen kann[14].
Google hat sich geweigert, die von Enel X Italia entwickelte App auf Android Auto zu veröffentlichen und hat insbesondere nicht die IT-Lösungen implementiert, die die Entwicklung einer Version der App hätten ermöglichen können, die auf Android Auto veröffentlicht oder auf Android Auto ausschließlich mittels Sprachbefehlen verwendet werden kann. Wie es aus den Ergebnissen hervorgeht, ist die Behörde der Auffassung, dass Google sich bei den Kontaktaufnahmen mit Enel X Italia in einer obstruktiven Weise verhielt und überging sowohl die Hauptforderung der Veröffentlichung der App als auch einige weitere Forderungen von Enel X Italia, wie z.B. in Bezug auf das Verfahren zur Überprüfung der Sicherheitsstandards[15].
Die Verweigerung von Google, die App eines Dritten, d. h. Enel X Italia, die Interoperabilität mit der Android-Auto-Plattform zu gestatten, scheint nach Ansicht der Behörde auf einen ausschließenden Zweck zurückzuführen und zu einer günstigeren Behandlung der eigenen App Google Maps[16]. Letztere ist tatsächlich durch ein Wettbewerbsverhältnis (tatsächlicher Wettbewerb, potenzieller Wettbewerb und Wettbewerb für Nutzer und Daten) mit Apps für Auflade-Dienstleistungen verbunden, insbesondere mit der JuicePass-App von Enel X Italia. Darüber hinaus tritt Enel X Italia als bedeutender Akteur im Bereich der E-Mobilität in Italien auf und seine App umfasst im Vergleich zu Google Maps besondere Merkmale[17].
Das Verhalten von Google hat bereits seit mehr als zwei Jahren nachteilige Auswirkungen in Form einer Verringerung des Angebots und somit einer Einschränkung der Wahlmöglichkeiten der Nutzer, sei effektiv als auch potenziell[18]. In diesem Zusammenhang verweist die AGCM auf das Urteil des Gerichts der Europäischen Union in der Rechtssache T-201/04, Microsoft[19], in dem festgestellt wurde, dass „das gerügte Verhalten das Auftreten eines neuen Produkts auf dem Markt verhindert, ist im Kontext von Art. 82 Abs. 2 Buchst. b EG zu berücksichtigen, der Missbräuche verbietet, die in der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher bestehen“ und, dass „das Auftreten eines neuen Produkts, kann nicht der einzige Parameter sein, anhand dessen geklärt werden kann, ob eine Weigerung, für ein Recht des geistigen Eigentums eine Lizenz zu erteilen, den Verbrauchern im Sinne von Art. 82 Abs. 2 Buchst. b EG schaden kann. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift kann ein solcher Schaden nicht nur bei einer Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes eintreten, sondern auch dann, wenn die technische Entwicklung eingeschränkt wird“[20].
Ein solches Verhalten ist zudem geeignet, diese Auswirkungen dauerhaft zu machen und damit die Struktur des Marktes zu verändern. Nach der Behörde würde dies zu einer Streuung der Investitionen von Enel X Italia in die Technologie und zum Verlust eines alternativen Geschäftsmodells zu dem von Google Maps führen. All das stellt auch ein Hindernis für die Innovation im Bereich der Dienstleistungen in der E-Mobilität dar, und zwar in einer entscheidenden Phase ihrer Einführung. Infolgedessen könnten sich negative Auswirkungen auf die Verbreitung von Elektrofahrzeugen, auf die Nutzung sauberer Energie und auf den Übergang zu einer umweltverträglicheren Mobilität ergeben.[21].
Die von Google abgelehnte Veröffentlichung der JuicePass-App scheint nicht objektiv gerechtfertigt zu sein. Diese Schlussfolgerung basiert auf dem Gesamtbild der auf Android Auto verfügbaren Apps, auf den Unternehmensrichtlinien von Google in Bezug auf die Veröffentlichung von Apps auf Android Auto, auf dem Zweck von Android Auto, eine einfache und sichere Nutzung von Apps während des Fahrens zu ermöglichen, und auf den spezifischen Eigenschaften der von Enel X Italia entwickelten App[22].
Der Ausschluss der Enel X Italia-App von Android Auto könnte, wenn er fortgesetzt würde, die Chancen von Enel X Italia, eine solide Nutzerbasis aufzubauen, in einer Zeit, in der der Verkauf von Elektrofahrzeugen stark wächst, dauerhaft gefährden. Zusätzlich zur Verhängung der Geldbuße, hat die Behörde daher Google angewiesen, Enel X Italia sowie anderen App-Entwicklern Tools für die Programmierung von Apps zur Verfügung zu stellen, die mit Android Auto interoperabel sind, und wird die wirksame und korrekte Umsetzung der auferlegten Verpflichtungen durch einen unabhängigen Sachverständigen überwachen, dem Google die geforderte Zusammenarbeit und Informationen zur Verfügung stellen muss.