Juli 2019
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Verwertungsverbot unrechtmssig erlangter WhatsApp Chatprotokolle Die inhaltliche Sichtung des privaten WhatsApp Chatverlaufs auf dem Geschfts-
handy durch den Arbeitgeber ist trotz vertraglichem Verbot, das geschftliche Mobiltelefon privat zu nutzen, nach Ansicht des Zrcher Obergerichts unrechtmssig. Die Chatprotokolle knnen im Prozess nicht verwendet werden.
EmploymentNews Nr. 38 Juli 2019
Von Ueli Sommer Dr. iur., LL.M., Rechtsanwalt Partner Telefon +41 58 658 55 16 [email protected]
und Christoph Stutz MLaw, Rechtsanwalt Konsulent Telefon +41 58 658 56 57 [email protected]
Das Obergericht Zrich hat in einem Verfahren betreffend eine fristlose Kndigung zum Beweis vorgelegte WhatsApp Chatprotokolle bzw. Screenshots nicht zum Beweis zugelassen, weil sie nach Ansicht des Gerichts rechtswidrig beschafft wurden. Das Urteil setzt den Arbeitgebern eine weitere hohe Hrde fr die Durchsetzung ihrer Rechte.
Fristlose Entlassung wegen Treuepflichtverletzungen
Hintergrund des Gerichtsentscheides war folgender Sachverhalt (gekrzt): Die Arbeitgeberin hatte der Arbeitnehmerin fr geschftliche Zwecke ein Mobiltelefon zur Verfgung gestellt. Gemss den Anstellungsbedingungen war die private Nutzung der firmeneigenen Kommunikationsmittel untersagt und die Arbeitgeberin behielt sich unangekndigte Kontrollen bei Verdacht auf Verletzung der Vorschriften vor. Trotz diesem Verbot hatte die Arbeitnehmerin die Applikation ,,WhatsApp" auf dem Geschftshandy installiert und privat genutzt. Im Rahmen einer gesttzt auf die Anstellungsbedingungen durchgefhrte Kontrolle hatte die Arbeitgeberin Einsicht in den privaten Chatverlauf genommen. In der Folge entliess die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin fristlos, weil sie im Rahmen dieser Kontrolle feststellte, dass die Arbeitnehmerin im WhatsApp Chat massive ehrverletzende usserungen gemacht und Geschftsgeheimnisse verletzt hatte. Zudem wurde aus dem Chatverlauf ersichtlich, dass die Arbeitnehmerin eine Krankheit vorgetuscht hatte.
Sichtung des Chatverlaufs zur Kontrolle unzulssig
Gegenstand des Gerichtsverfahrens war nicht die Frage, ob die Verletzung der Treuepflicht ein wichtiger Grund fr die fristlose Entlassung darstellte und damit die fristlose Kndigung gerechtfertigt war, sondern das Gericht prfte lediglich,
ob zur Entscheidfindung auf den WhatsApp Chatverlauf bzw. auf die diesbezglichen Screenshots abgestellt werden durfte. Die Vorinstanz hatte die Sichtung des Chatverlaufs im Rahmen dieser Kontrolle als unverhltnismssig und damit unzulssig beurteilt.
Das Obergericht erachtete die Kontrolle des Geschftshandys als Datenbearbeitung und folgte in seiner Beurteilung anders als noch in frheren Entscheiden der (strengen) Lehrmeinung, gemss der Datenbearbeitungen im Arbeitsverhltnis nach den Bestimmungen des Obligationenrechts grundstzlich unzulssig sind, es sei denn, sie sind zur Durchfhrung des Arbeitsvertrages gerechtfertigt. Datenbearbeitungen, die keinen gengenden Arbeitsplatzbezug haben, sind nach dieser Ansicht generell unzulssig und knnen auch nicht durch einen Rechtfertigungsgrund legitimiert werden. Das Obergericht erwog, dass eine Datenbearbeitung zur Kontrolle von erteilten Weisungen zulssig ist. Vorliegend sei es jedoch zur Kontrolle der erteilten Weisung nicht erforderlich gewesen, den Chatverlauf inhaltlich zu sichten, es htte nach Ansicht des Obergerichts (wie auch der Vorinstanz) gereicht, zur Durchsetzung der erteilten Weisung die Applikation ,,WhatsApp" als arbeitsfremde App zu lschen. Zur umfassenden Inhaltskontrolle des Chatverlaufs sei die Arbeitgeberin nicht befugt gewesen. Die inhaltliche Sichtung der Chatprotokolle und die Erstellung der Screenshots seien damit rechtswidrig erfolgt.
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EmploymentNews Nr. 38 Juli 2019
Unrechtmssig erlangtes Beweismittel darf nicht bercksichtigt werden
Rechtswidrig erlangte Beweismittel drfen im Prozess nur bercksichtigt werden, wenn das Interesse an der Wahrheitsfindung berwiegt. Bei der Abwgung zwischen dem Interesse an der Wahrheitsfindung und dem Schutzinteresse, das bei der Beweismittelbeschaffung verletzt wurde, gewichtete das Obergericht die Geheimsphre der Arbeitnehmerin hher als das Interesse an der Wahrheitsfindung, wobei es bei der Interessenabwgung den tendenziell geringen Streitwert bercksichtigte. Das Obergericht fhrte hierzu aus, dass bei einem Streitwert von rund CHF 24`500 der Schutz der Geheimsphre hher zu gewichten sei als der materielle Wert. Schliesslich verneinte das Obergericht auch einen Beweisnotstand, indem es argumentierte, der Beklagten htten auch andere Beweismglichkeiten offen gestanden.
Weil die unrechtmssig erlangten Beweismittel nicht bercksichtigt werden durften, konnte die Rechtmssigkeit der fristlosen Entlassung nicht geprft werden. Die Arbeitgeberin wurde daher verpflichtet, der Arbeitnehmerin den entgangenen Lohn fr die ordentliche Kndigungsfrist sowie eine Strafzahlung zu bezahlen.
Ob das Obergericht die Sache anders beurteilt htte, wenn die Arbeitgeberin auf andere Weise vom WhatsApp Chatverlauf bzw. von den Treuepflichtverletzungen Kenntnis erhalten htte, muss an dieser Stelle offen bleiben. Nach unserer Ansicht htte jedoch der Chatverlauf jedenfalls dann verwertbar sein mssen, wenn er zum Beispiel durch einen anderen Arbeitnehmer freiwillig offengelegt worden wre.
Was bedeutet dieses Urteil fr Arbeitgeber?
Bekanntlich sind die Hrden fr eine fristlose Entlassung sehr hoch. Im vorliegenden Fall hat die Arbeitgeberin vom Fehlverhalten der Arbeitnehmerin erst erfahren, als sie den WhatsApp Chatverlauf sichtete. Nur weil die Arbeitgeberin durch dieses nach Ansicht des Obergerichts unrechtmssige Handeln von den gravierenden Vertrags- und Treuepflichtverletzungen Kenntnis erhalten hatte, lag berhaupt ein Grund fr eine fristlose Kndigung vor. Es ist wohl auch diesem Umstand geschuldet, dass die Frage, ob ein wichtiger Grund fr eine fristlose Kndigung vorlag, von Gerichten gar nicht geprft wurde.
Aber was darf denn der Arbeitgeber berhaupt kontrollieren? Grundstzlich gilt, dass das Ausmass der Kontrollrechte des Arbeitgebers davon abhngt, ob und inwieweit die Nutzung der elektronischen Kommunikationsmittel am Arbeitsplatz zu privaten Zwecken geregelt ist. Der Arbeitgeber ist kraft seines Weisungsrechts befugt, die Nutzung von betrieblicher elektronischer Infrastruktur (E-Mail, Internet, Geschftshandy) zu reglementieren und deren private Nutzung einzuschrnken oder auch ganz zu verbieten. Ist die private Nutzung der elektronischen Kommunikationsmittel verboten oder eingeschrnkt, hat der Arbeitgeber das Recht, die Einhaltung dieser Weisung zu kontrollieren. Die Kontrolle hat aber dem Verhltnismssigkeitsgrundsatz zu entsprechen und darf nur nach Treu und Glauben erfolgen. Das bedeutet insbesondere, dass die Arbeitnehmer mindestens in allgemeiner Form ber solche Kontrollen im Voraus informiert werden mssen.
Das Kontrollrecht selbst ist in verschiedener Hinsicht begrenzt. So ist etwa der Einsatz von Software, welche die Nutzung systematisch berwacht, unzulssig. Zulssig sind hingegen Stichproben.
Aus Persnlichkeitsschutzberlegungen sollten solche Stichproben in Anwesenheit des Arbeitnehmers erfolgen. Zudem drfen einmal als privat erkannte E-Mails und/oder Textnachrichten, die keinen Arbeitsplatzbezug aufweisen, inhaltlich nicht geprft werden. Der Arbeitgeber hat hier die Privatsphre der Arbeitnehmer zu beachten.
Welche Mglichkeiten hat der Arbeitgeber, wenn ein konkreter Verdacht auf eine Vertragsverletzung vorliegt? Insbesondere in grsseren Unternehmen werden in solchen Fllen interne Untersuchungen durchgefhrt. Mit Blick auf die Frsorgepflicht des Arbeitgebers muss den Arbeitnehmern bei solchen Untersuchungen das rechtliche Gehr gewhrt werden; d.h. dem Arbeitnehmer muss der Vorwurf offengelegt werden, so dass er sich hinreichend zur Sache ussern kann. Infolge seiner Treuepflicht ist der Arbeitnehmer verpflichtet, Fragen, die einen hinreichenden Arbeitsplatzbezug aufweisen, wahrheitsgemss zu beantworten. Fr ein Aussageverweigerungsrecht fr zulssige Fragen, wie es beispielsweise im Strafverfahrensrecht besteht, gibt es keine gesetzliche Grundlage. Ebenso gibt das Arbeitsrecht keinen Anspruch, sich bei internen Untersuchungen von einer Vertrauensperson begleiten zu lassen, es sei denn, interne, vom Arbeitgeber erlassene Verfahrensregeln rumen dem Arbeitnehmer solche Verfahrensrechte ein.
Fr Arbeitgeber macht es je nach Betriebsgrsse durchaus Sinn, die geschftliche und private Nutzung von elektronischen Kommunikationsmitteln in ihrem Betrieb zu reglementieren und die Kontrollrechte przis zu umschreiben. Geht es darum, einen konkreten Verdacht abzuklren, kann unter Umstnden der Beizug einer internen oder externen Fachperson helfen, das Risiko der Nichtverwertbarkeit von erhobenen Daten zu minimieren.
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EmploymentNews Nr. 38 Juli 2019
Fazit
Mit dem Abstellen auf die strenge Lehrmeinung, dass die allgemeinen Rechtfertigungsgrnde des Datenschutzgesetzes eine Datenbearbeitung im Arbeitsverhltnis ohne gengenden Arbeitsplatzbezug nicht zu rechtfertigen vermgen, setzt das Arbeitsgericht den Arbeitgebern eine weitere hohe Hrde bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Arbeitgeber sind gut beraten, bei Verdacht auf Vertrags- und/oder Treuepflichtverletzungen die Grundstze der Datenbearbeitung zu beachten und bei internen Untersuchungen die Persnlichkeitsrechte der Arbeitnehmer zu respektieren. Gegebenenfalls lohnt es sich, frhzeitig Fachpersonen hinzuzuziehen, um grsseren Flurschaden prventiv zu vermeiden.
EmploymentNews berichtet ber neuere Entwicklungen und wichtige Themen im Bereich des schweizerischen Arbeitsrechts. Die darin enthaltenen Informationen und Kommentare stellen keine rechtliche Beratung dar, und die erfolgten Ausfhrungen sollten nicht ohne spezifische rechtliche Beratung zum Anlass fr Handlungen genommen werden.
Walder Wyss AG, Zrich, 2019
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