Die Schweizer Regierung strebt eine Teilrevision des Kartellgesetzes an. Nach Abschluss der Vernehmlassung hat der Bundesrat nun seinen Gesetzesentwurf verffentlicht. Die Revision zielt darauf ab, die Fusionskontrolle zu modernisieren und das Kartellzivilrecht zu strken. Der Gesetzesentwurf sieht bemerkenswerterweise auch die Wiedereinfhrung der Erheblichkeitsprfung fr Hardcore-Kartellabreden vor. Die Revision wird nun im Schweizer Parlament beraten. Das revidierte Kartellgesetz wird voraussichtlich nicht vor 2024 in Kraft treten.

Hintergrund

Der Bundesrat hat am 24. Mai 2023 seinen Gesetzesentwurf ("Entwurf") fr eine Teilrevision des Kartellgesetzes ("KG") vorgelegt und die dazugehrige Botschaft verabschiedet. Der Entwurf knpft weitgehend an die Vernehmlassungsvorlage vom November 2021 an. Die wichtigsten im Entwurf vorgeschlagenen nderungen des Kartellgesetzes lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Modernisierung der Fusionskontrolle

Übergang zum SIEC-Test

Wie in der Vernehmlassungvorlage des Bundesrates vom November 2021 bernimmt auch der Entwurf das Kriterium der signifikanten Beeintrchtigung wirksamen Wettbewerbs ("SIEC-Test") als relevanten Massstab fr die schweizerische Fusionskontrolle. Der bergang vom Marktbeherrschungstest, auf den sich die Fusionskontrolle bisher sttzte (d.h. ein Zusammenschlussvorhaben kann nur dann verboten oder unter Auflagen und Bedingungen zugelassen werden, wenn es eine marktbeherrschende Stellung begrndet oder verstrkt, die den wirksamen Wettbewerb vollstndig ausschaltet), zum SIEC-Test bringt das Schweizer Recht in Einklang mit der Praxis der Europischen Union ("EU") in diesem Bereich.

Gemss dem SIEC-Test kann die schweizerische Wettbewerbskommission ("WEKO") einen Zusammenschluss verbieten (oder unter Bedingungen oder Auflagen genehmigen), wenn die folgenden zwei Bedingungen kumulativ erfllt sind:

  •  das Zusammenschlussvorhaben behindert den wirksamen Wettbewerb signifikant, insbesondere durch die Begrndung oder Verstrkung einer marktbeherrschenden Stellung.
  •  das Zusammenschlussvorhaben fhrt nicht zu fusionsspezifischen Effizienzvorteilen fr die Nachfrager, die berprfbar und von den meldenden Unternehmen begrndet sind sowie die Nachteile der signifikanten Behinderung des Wettbewerbs ausgleichen.

Mit dem SIEC-Test wird die derzeitige Schwelle fr ein Eingreifen der WEKO gesenkt. Dies wird in Zukunft voraussichtlich zu strengeren Entscheidungen und mglicherweise zu einer hheren Anzahl von Untersagungen nationaler Zusammenschlsse fhren.

Neue Ausnahme von der Meldepflicht

Unter geltendem Recht mssen Zusammenschlussvorhaben, welche die Umsatzschwellen von Art. 9 Abs. 1 KG erreichen, der WEKO gemeldet werden. Der Entwurf sieht eine Ausnahme von dieser Meldepflicht fr grenzberschreitende Zusammenschlsse vor, wenn die beiden folgenden Bedingungen kumulativ erfllt sind:

  •  smtliche vom Zusammenschlussvorhaben betroffenen sachlichen Mrkte sind rumlich so abzugrenzen, dass sie die Schweiz und zumindest den Europischen Wirtschaftsraum ("EWR") umfassen. Betrifft das Zusammenschlussvorhaben mindestens einen Markt, der geografisch auf die Schweiz beschrnkt ist, bleibt die Meldepflicht bestehen.
  •  das geplante Zusammenschlussvorhaben muss von der Europischen Kommission geprft werden. Wenn das Zusammenschlussvorhaben nicht bei der Europischen Kommission gemeldet wird, gilt die Ausnahme von der Meldepflicht nicht.

Der Entwurf zielt darauf ab, eine parallele Doppelprfung durch die WEKO und die Europische Kommission zu vermeiden. In der Praxis drfte es allerdings schwierig werden, in jedem Einzelfall zu beurteilen, ob alle sachlich relevanten Mrkte auch den EWR umfassen, da die WEKO in ihren Entscheidungen oft keine abschliessende Definition des rumlichen Marktes vornimmt.

Strkung des Kartellzivilrechts

Der Entwurf sieht eine Ausweitung der zivilrechtlichen Klageberechtigung auf alle Personen vor, deren wirtschaftliche Interessen durch eine unzulssige Wettbewerbsbeschrnkung bedroht oder beeintrchtigt werden, einschliesslich der Konsumenten und der ffentlichen Hand.

Sodann wird eine Verjhrungshemmung von zivilrechtlichen Ansprchen aus unzulssiger Wettbewerbsbeschrnkung fr die Zeit von der Untersuchungserffnung durch die WEKO bis zum rechtskrftigen Entscheid eingefhrt.

Darber hinaus zielt der Entwurf darauf ab, die freiwillige Wiedergutmachung gegenber durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen Geschdigten zu frdern und spiegelt damit die jngste Praxis der WEKO in diesem Bereich wider. Demnach sollen freiwillige Schadenersatzzahlungen und Entschdigungen fr immaterielle Schden sowie die freiwillige Rckgabe von unrechtmssig erzielten Gewinnen bei der Festlegung der Sanktionshhe bercksichtigt werden knnen.

Es ist zu erwarten, dass die Strkung des Kartellzivilrechts in Zukunft zu einem Anstieg der Schadensersatzklagen gegen betroffene Unternehmen fhren wird.

Erluterungen

  •  Unzulssige Abreden nach Art. 5 KG: Wie in der Vernehmlassungsvorlage wird die Bercksichtigung quantitativer und qualitativer Aspekte von Vereinbarungen zur Beurteilung der Erheblichkeit von Wettbewerbsbeschrnkungen wieder eingefhrt und damit die faktische Rechtslage vor dem Urteil des Bundesgerichts in der Rechtssache GABA wiederhergestellt. In seinem GABA-Urteil hatte das Bundesgericht festgestellt, dass alle horizontalen Preis-, Mengen- und Gebietsabsprachen (einschliesslich z.B. Einkaufsgemeinschaften) sowie vertikale Kernabsprachen eine erhebliche bezweckte Wettbewerbsbeschrnkung darstellen. Der Entwurf sieht nun vor, dass solche Harcore-Kartellabreden in Zukunft wieder insbesondere auch unter quantitativen Gesichtspunkten geprft werden mssen.
  •  Geringfgige Verstsse: Der Entwurf fhrt das Opportunittsprinzip bei geringfgigen Verstssen ein. Hiermit soll vermieden werden, dass sich die Wettbewerbsbehrden mit unbedeutenden Fllen befassen mssen.

Verfahrensnderungen

  •  Widerspruchsverfahren: Der Entwurf verbessert das Widerspruchsverfahren, indem er den Unternehmen ermglicht, der WEKO geplante Verhaltensweisen und Vereinbarungen zu melden, bevor sie umgesetzt werden. Erffnen die Wettbewerbsbehrden innerhalb der Widerspruchsfrist keine Untersuchung, erlischt das unmittelbare Sanktionsrisiko fr die Unternehmen im Zusammenhang mit dem gemeldeten Sachverhalt endgltig. Darber hinaus wird die Widerspruchsfrist von fnf auf zwei Monate verkrzt.
  •  Ordnungsfristen: Der Entwurf fhrt spezifische Fristen fr Wettbewerbsbehrden und die Beschwerdeinstanzen ein, die auf dem Grundsatz "comply or explain" beruhen. Durch diese Fristen sollen die Kartellverfahren beschleunigt werden.
  •  Parteientschdigung: Der Entwurf fhrt eine Parteientschdigung fr das erstinstanzliche Verwaltungsverfahren vor der WEKO ein. Wird die Untersuchung (ganz oder teilweise) eingestellt, kann den Unternehmen, gegen die ein unbegrndeter Verdacht bestand, gemss Entwurf eine Entschdigung zugesprochen werden.

Ausblick

Der Entwurf wird nun im Schweizer Parlament beraten, welches noch nderungen vorschlagen kann. Das revidierte Kartellgesetz wird voraussichtlich nicht vor 2024 in Kraft treten.