Die aus Sicht der deutschen Volks- wirtschaft erhebliche Kapitalanlage- tätigkeit von Versicherungsunterneh- men (VU) unterliegt den aufsichts- rechtlichen Vorgaben des Versiche- rungsaufsichtsgesetzes (VAG). Im Hinblick auf die Vorgaben der euro- päischen Solvency II-Richtlinie haben sich mit Inkrafttreten des neuen VAG zum 1. Januar 2016 (VAG n.F.) Ände- rungen der Anforderungen an die Kapitalanlage von VU ergeben. Dies gibt Anlass, einen Blick auf die wichtigsten Neuerungen zu werfen.
A. Bisherige Rechtslage
I. Gebundenes und freies Vermögen
Nach der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung des VAG (VAG a.F.) hatten VU ein sog. „gebundenes Vermögen“ zu bilden, das sich aus zwei Vermögensmassen zusammen- setzte: zum einen aus dem sog. „Sicherungsvermögen“, das im In- solvenzfall vorrangig als Grundlage für die Befriedigung der Leistungsan- sprüche der Versicherten dient; zum anderen aus dem sog. „sonstigen gebundenen Vermögen“, das die sonstigen versicherungstechnischen Verpflichtungen absicherte. Vom gebundenen Vermögen wurde das sog. „freie Vermögen“ abgegrenzt, das nicht der Deckung der mit den Versicherungsverhältnissen zusam- menhängenden Rückstellungen diente. Im Wesentlichen handelte es sich beim freien Vermögen um die Gegenwerte des Eigenkapitals und die nicht versicherungstechni- schen Passiva.
Beschränkungen nach VAG a. F.
Das gebundene Vermögen war (an- ders als das freie Vermögen, für das keine derartigen Beschränkungen gal- ten) so anzulegen, dass möglichst große Sicherheit und Rentabilität bei jederzeitiger Liquidität des VU unter Wahrung angemessener Mischung und Streuung erreicht wurde (vgl. § 54 Abs. 1 VAG a. F.). Die frühere Verordnung über die Anlage des ge- bundenen Vermögens von VU (AnlV) konkretisierte diese Kapitalanlage- grundsätze des VAG weiter und enthielt einen „statischen“ Katalog von zulässigen Kapitalanlageformen (Anlagenkatalog). Zudem hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht (BaFin) praxisrelevante Hinweise zur Anlage des gebundenen Vermögens in Form eines Rund- schreibens veröffentlicht.
B. Neue Rechtslage
I. Abschaffung statischer Anlagevorgaben und neue Anlagegrundsätze
Entsprechend den Vorgaben von Sol- vency II sind statische Festlegungen von bestimmten zulässigen Anlage- formen wie diejenigen im Anlage- katalog der bisherigen AnlV nicht mehr zulässig. Die AnlV ist deshalb mit Wirkung zum 1. Januar 2016 aufgehoben worden. An die Stelle der bisherigen Anlagegrundsätze für das gebundene Vermögen nach § 54 Abs. 1 bis 3 VAG a. F. sind die neuen Anlagegrundsätze des § 124 Abs. 1 VAG n. F. getreten, welche für die Anlage aller Vermögenswerte von VU gelten. Die bisherige Unterscheidung zwischen gebundenem Vermögen (bestehend aus Sicherungsvermögen und sonstigem gebundenem Vermö- gen) und freiem Vermögen ist damit entfallen. Bedeutsam geblieben ist aber die Unterscheidung des Siche- rungsvermögens vom restlichen Vermögen eines VU.
II. Neue Freiheit der Kapitalanlage?
Durch den Wegfall der statischen Anlagevorgaben der AnlV und die Einführung der neuen Anlagegrund- sätze erhalten VU größere Flexibilität bei ihrer Kapitalanlage. Allerdings wird in der Gesetzesbegründung aus- drücklich darauf hingewiesen, dass die neuen Anlagegrundsätze keine uneingeschränkte Freiheit bei der Kapitalanlage bedeuteten und der bisherige Sicherheitsstandard nicht gelockert werde. Anstelle der Einhal- tung konkreter aufsichtsrechtlicher Vorgaben werde den Unternehmen lediglich mehr Eigenverantwortung bei der vorsichtigen Kapitalanlage abverlangt.
Dementsprechend müssen VU zu- künftig ihre gesamten Vermögens- werte nach dem Grundsatz der un- ternehmerischen Vorsicht anlegen. Dazu enthält § 124 Abs. 1 Satz 2 VAG n. F. in Nr. 1 bis Nr. 8 weitere Rahmenparameter. Danach darf ins- besondere nur in Vermögenswerte investiert werden, deren Risiken das VU hinreichend identifizieren, bewer- ten, überwachen, steuern, kontrollie- ren und in seine Berichterstattung einbeziehen kann. Ferner sind alle Vermögenswerte so anzulegen, dass Sicherheit, Qualität, Liquidität und Rentabilität des Portfolios als Ganzes sichergestellt werden. Ergänzend ist zu beachten, dass VU im Rahmen ihrer ordnungsgemäßen Geschäfts- organisation nun verpflichtet sind, nachzuweisen, dass sie die Anforde- rungen des §124 VAG n.F. einhalten. Das hat zur Folge, dass innerhalb des Risikomanagements der Entwicklung eigener Leitlinien für die Kapitalan- lage für die VU nach dem neuen Recht eine größere Bedeutung als bisher zukommt.
Ergänzend zu den gesetzlichen Rege- lungen des neuen VAG sind insbe- sondere die BaFin-Auslegungsent- scheidung zum Grundsatz der unter- nehmerischen Vorsicht vom 1. Januar 2016, die BaFin-Auslegungsentschei- dung zum Risikomanagement in VU vom 1. Januar 2016 sowie die EIOPA- Leitlinien 27 bis 35 zum Governance- System zu beachten.
III. Anwendungsreichweite
Zu berücksichtigen ist, dass die neuen Vorgaben für die Kapitalan- lage nach dem Grundsatz der un- ternehmerischen Vorsicht nicht für sog. kleine VU gelten. Für diese, d. h. insbesondere für Erstversicherer, de- ren jährliche Bruttoprämieneinnah- men EUR 5 Mio. bzw. deren gesamte versicherungstechnische Rückstellun- gen EUR 25 Mio. nicht übersteigen, ist vielmehr die Regelung des § 215 VAG n.F. maßgeblich, welche der Regelung des § 54 VAG a.F. weitge- hend entspricht. Auch für bestimmte andere Unternehmensformen bleibt die alte Rechtslage ganz oder zum Teil aufrechterhalten.
Wie für kleine VU besteht insoweit auch für Sterbekassen und Pensions- kassen nach dem neuen VAG eine Ermächtigungsgrundlage für eine Ver- ordnung mit Vorgaben für statische Anlageformen. Auf dieser Grundlage ist (ausschließlich) für kleine VU, Ster- bekassen und Pensionskassen eine Verordnung für die Kapitalanlage des Sicherungsvermögens neu erlassen und am 21. April 2016 im Bundesge- setzblatt verkündet worden (Verord- nung über die Anlage des Siche- rungsvermögens von Pensionskassen, Sterbekassen und kleinen Versiche- rungsunternehmen (Anlageverord- nung – AnlV)). Die Vorgaben dieser Verordnung werden voraussichtlich auch für bestimmte Versorgungs- werke relevant werden, für welche eine entsprechende Anwendung dieses Aufsichtsregimes gesetzlich vorgeschrieben ist (vgl. z. B. Art. 15 des bayerischen Gesetzes über das öffentliche Versorgungswesen) oder die sich diesem freiwillig unterwerfen.
C. Fazit
Die neuen Vorgaben für die Kapital- anlage bieten, soweit diese anwend- bar sind, VU eine größere Flexibilität als bisher. Allerdings sind die VU verpflichtet, nachzuweisen, dass sie die mit dem Grundsatz der unterneh- merischen Vorsicht verbundenen An- forderungen tatsächlich auch einhal- ten. Zu prognostizieren ist, dass die größere Freiheit für VU insoweit mit einer Steigerung des Dokumentati- onsaufwandes im Rahmen ihres auf Kapitalanlagen bezogenen Risikoma- nagements einhergehen wird. Dies gilt insbesondere, soweit VU bei ihrer Kapitalanlage von den bisher zulässi- gen Kapitalanlageformen abweichen möchten. Im Übrigen sind statische Vorgaben für Anlageformen nach dem Vorbild der bisherigen AnlV auch weiterhin von sog. kleinen VU, Sterbekassen und Pensionskassen sowie ggf. Versorgungswerken zu beachten.