Die Neuordnung des Marktmiss- brauchsrechts, dessen Kernelement die neue Marktmissbrauchsverord- nung (MAR) ist, ist in vollem Gange und führt bei Marktteilnehmern und Aufsichtsbehörden gleichermaßen zu reger Betriebsamkeit. Bereits am 3. Juli 2016 werden die Regelungen der MAR sowie der Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen CRIM- MAD in Kraft treten, flankiert von einer Vielzahl von Standards, Vor- lagen und Leitlinien.
Gesetzgebungsverfahren noch im Fluss
So hat die EU-Kommission damit begonnen, die bereits 2015 durch die europäische Aufsichtsbehörde ESMA vorgelegten Entwürfe von technischen Regulierungsstandards (sog. RTS / ITS) zu billigen und in die- sem Zusammenhang erste delegierte Rechtsakte zur Konkretisierung der entsprechenden Vorschriften zu er- lassen (z. B. DelVO (EU) 2016 / 522 bezüglich Indikatoren für Markt- manipulation, Ausnahmen von Handelsverboten und Arten melde- pflichtiger Eigengeschäfte sowie Durchführungsverordnungen (EU) 2016 / 523 zu technischen Durch- führungsstandards und dem finalen Template zur Meldung von Directors Dealings, und (EU) 2016/347 zur Festlegung von Durchführungsstan- dards bezüglich des Formats von Insiderlisten, jeweils mittlerweile im Amtsblatt der Europäischen Union verkündet).
In einer ersten „quick fix“ hat die Kommission darüber hinaus die Ver- schiebung der Anwendungsfrist für MiFID II / MiFIR sowie des Anwen- dungsbereichs der MAR auf organi- sierte Handelssysteme bis 3. Januar 2018 vorgeschlagen. Zu zahlreichen Themen laufen darüber hinaus aktuell noch Konsultationsverfahren (u. a. zu den Themen Market Sounding und Selbstbefreiung). Schließlich haben einzelne nationale Aufsichts- behörden (etwa auch die BaFin) an- gekündigt, ihre eigene Verwaltungs- praxis anzupassen und z. B. neue Emittentenleitfäden zu veröffentli- chen (was jedoch nicht vor dem 3. Juli 2016 erwartet wird). Die Um- setzung der MAR als künftig unmit- telbar anwendbares Recht führt zu erheblichem Anpassungsbedarf bzgl. zen-traler Bestandteile des bis- herigen WpHG (Insiderrecht, Markt- manipulation, Ad-hoc-Publizität, Di- rectors Dealings, Insiderlisten). Das ent-sprechende Umsetzungsgesetz (1. FimanoG), soll ebenfalls zum 3. Juli 2016 in Kraft treten.
Überblick und to-do‘s für Marktteilnehmer
Dies alles führt zu einer hohen Un- sicherheit bei Marktteilnehmern, die trotz lückenhafter Regelungen und fehlender Auslegungshilfen mit der Umsetzung beginnen müssen, um mit Inkrafttreten der komplexen Re- gelungsmaterie am 3. Juli 2016 hand- lungsfähig zu sein. Erforderlich sind typischerweise Updates von Prozess- beschreibungen und Merkblätter zur Aufklärung von Insidern bzw. Füh- rungskräften, Updates der Insider- listen unter Berücksichtigung der neuen Vorgaben (insb. Annex XIII ESMA / 2015 / 1544) sowie insgesamt eine kritische Beleuchtung bisheriger Compliance-Prozesse bezüglich Directors Dealings (Art. 19 MAR i. V. m. Art. 10 DelVO C (2015) 8943 mit einer umfangreichen Auflistung meldepflichtiger Geschäfte), Handels- fenstern (Art. 19 Abs. 11, 12 MAR) und Ad-hoc-Mitteilungen (Art. 17 MAR). Hintergrund sind – neben einem künftig erweiterten Anwen- dungsbereich auf Emittenten, die im Freiverkehr bzw. an einem frei- verkehrähnlichen multilateralen oder organisierten Handelssystem (MTF bzw. OTF) gehandelt werden – deut- lich erweiterte Melde-, Berichts- und Dokumentationspflichten für Emitten- ten, Führungskräfte und deren nahe- stehende Personen. Aus Emittenten- sicht sind daher frühzeitig grund- sätzliche Überlegungen anzustellen im Hinblick auf den künftigen Um- gang mit permanenten Insidern (gem. ESMA „persons who have access at all times to all inside information“), die künftige Klassifizierung von Füh- rungskräften (und deren Aufklärung bzw. die Organisation der Aufklärung deren nahestehender Personen in- klusive adäquater Dokumentation), den Umgang mit Directors Dealings (Fristverkürzung für Meldungen auf drei Tage gleichermaßen für Füh- rungskräfte und Emittenten, Art. 19 Abs. 1 MAR), Handelsfenstern („30 Kalendertage vor Ankündigung eines Zwischenberichts oder eines Jahresabschlussberichts“, Art. 19 Abs. 11 MAR) und Ad-hoc-Mitteilungen (neu normiert: Ad-hoc-Pflichtigkeit bei zeitlich gestreckten Vorgängen gem. Daimler / Geltl). Auch müssen die bisherigen Abläufe bezüglich der Selbstbefreiungen auf den Prüf- stand, da Art. 17 Abs. 4 MAR zwar grundsätzlich eine Aufschiebung auf eigene Verantwortung erlaubt, die bisher durch die ESMA im Rah- men eines noch nicht abgeschlosse- nen Konsultationsverfahrens vorge- legten Fallgruppen jedoch noch viele Fragen aufwerfen. So ist beispiels- weise unklar, ob die ESMA an dem Vorschlag festhält, eine Selbstbefrei- ung bei two-tier boards nur zuzu- lassen, wenn das zweite Gremium (Aufsichtsrat) möglichst innerhalb des gleichen Tages entscheidet. Dies würde für das Gros der deutschen Emittenten faktisch zu einem Aus- schluss der Selbstbefreiungsmöglich- keit führen. Auch ist genau zu prüfen, ob geltende Aktienoptionsprogram- me im Einklang mit den neuen Befreiungstatbeständen (Art. 7 ff. DelVO EU 2016/522) stehen. In die- sem Zusammenhang sollten Emit- tenten auch die Einführung bzw. die Überprüfung der Rolle eines Ad-hoc Komitees überprüfen, wel- ches für zahlreiche Ad-hoc bzw. Selbstbefreiungsthemen verant- wortlich sein sollte.
MAR, CRIM-MAD bzw. das FimanoG verschärfen das Sanktionsregime erheblich. Ein Verstoß gegen das Verbot von Insidergeschäften, das Empfehlen von Insidergeschäften oder das Anstiften hierzu oder ein Verstoß gegen das unrechtmäßige Offenlegen von Insiderinformationen kann gem. dem FimanoG eine Frei- heitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe zur Folge haben. Bei leichtfertigem Handeln droht eine Geldbuße von bis zu EUR 5 Mio. für natürliche Personen und bis zu EUR 15 Mio. oder 15 % des Gesamtum- satzes des Vorjahresumsatzes für juristische Personen oder Personen- vereinigungen. Darüber hinaus sollen künftig Verstöße und Namen der verstoßenden Personen für einen Zeitraum fünf Jahren auf der BaFin- Website bekannt gemacht werden (naming and shaming).
Trotz der dargestellten ungeklärten Themen, fehlenden Leitlinien und fehlenden finalen Gesetze bzw. Ver- ordnungen wird die neue Markt- missbrauchsregime am 3. Juli 2016 in Kraft treten, sodass Emittenten gut beraten sind, ihre Prozesse umgehend anzupassen und sich für weiterge- hende, künftige Detailregelungen zu wappnen.