Freistellungsansprüche sind in Lieferbedingungen oft zu finden. Lieferant und Besteller können gleichermaßen ein berechtigtes Interesse daran haben, von etwaigen Drittansprüchen freigestellt zu werden, etwa im Hinblick auf Schutzrechtverletzungen und daraus resultierende Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche, wie im Urteil BGH, vom 15.12.2010 - VIII ZR 86/09 = NJW-RR 2011, 479 f.: Der Besteller hat den Lieferanten über ein bestehendes Schutzrecht aufgeklärt – dieser hat nichtsdestotrotz Türscharniere geliefert, jedoch einen Freistellungsanspruch im Falle von Schutzrechtsverletzungen gewährt. Der Schutzrechtsinhaber hat gegen den Besteller und seinen Vertragshändler Klage auf Auskunft, Unterlassen und Schadensersatz erhoben. Nachdem dieser Rechtsstreit ohne Beteiligung der Lieferantin beendet wurde, urteilte der BGH nun, dass der Lieferant verpflichtet gewesen wäre dem Rechtsstreit beizutreten und die Ansprüche abzuwehren. 

Was bedeutet ein „Freistellungsanspruch“ juristisch und welche Konsequenzen hat er?

Nach herrschender Rechtsprechung (auch wenn mehr oder weniger immer nur die gleichen 4 Urteile zitiert werden, allen voran die Entscheidung des BGH vom 15. Dezember 2010) besteht das Wesen einer auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage bestehenden Freistellungspflicht nicht nur in der Befriedigung begründeter Ansprüche, sondern auch der Pflicht zur Abwehr unbegründeter Ansprüche (siehe BGH, Urteil vom 29.11.2013 – Az.LwZR 8/12 mit vielen weiteren Belegen dazu: BGH, Urteil vom 15.12.2010 - NJW-RR 2011, 479 f.; BGH, Urteil vom 24.10.2002 – Az., NJW 2003, 352 f.; BGH, Urteil vom 19.01.1983 – Az. IVa ZR 116/81, NJW 1983, 1729 f.; BGH, Urteil vom 24.06.1970 – Az. VIII ZR 268/67, NJW 1970, 1594 f.). Der Freizustellende soll nach dem Sinn der Freistellung der Gefahr enthoben sein, entweder eine unbegründete Forderung zu erfüllen oder sich wegen einer begründeten Forderung mit einer Klage überziehen zu lassen (BGH, Urteil vom 19.04.2002 – Az. V ZR 3/01, NJW 2002, 2382). Diese Auffassung teilt auch die Literatur (instruktiv mit gutem Überblick: Schütt, NJW 2016, 980 ff.; Schweer/Todorow, NJW 2013, 2072 ff. und auch: Rohlfing, MDR 2012, 257 ff.; Görmer, JuS 2009, 7 ff.; Zahn, ZfBR 2007, 627 ff.; Muthorst, AcP 2009, 209 ff.; Wellenhofer-Klein, in BB 1999, 1121 f.); auch wenn es in der Formulierung der Freistellung nicht ausdrücklich erwähnt ist (Palandt/Ellenberger, 75. Aufl. 2016, § 157 Rn. 12; Rohlfing, MDR 2012, 257 (258); Staudinger/Bittner, BGB 2014, § 257 Rn. 22.), denn der Freizustellende solle jeglichen Risikos einer Inanspruchnahme durch Dritte enthoben werden und nicht der Gefahr ausgesetzt sein, wegen einer begründeten Forderung verklagt zu werden oder eine unbegründete Forderung zu erfüllen und sich dies als eigenes Fehlverhalten entgegenhalten lassen zu müssen (BGH wie oben, NJW-RR 2011, 479, 480; NJW 2002, 238). 

1. Verteidigung

Die Verteidigung kann dabei durch jede Maßnahme erfolgen, die den Freistellungsgläubiger von der Verbindlichkeit gegenüber dem Dritten befreit bzw. ihn vor einer Inanspruchnahme schützt (BGH, Urteil vom 11.04.1984 - VIII ZR 302/82 = NJW 1984, 2151; MüKoBGB/Krüger, 7. Aufl. 2016, § 257 Rn. 4 ff.). Eine Ausnahme von der Abwehrpflicht kann nach dem BGH (BGH wie oben, NJW-RR 2011, 479, 480) vorliegen, wenn die Situation von der typischen Interessenlage abweicht und beim Freistellungsgläubiger ein von ihm selbst zu tragendes Risiko gerichtlicher Inanspruchnahme durch Dritte verbleiben solle.

2. Verschuldenserfordernis und Beweislast

Hinsichtlich des Verschuldenserfordernisses äußert sich die Rechtsprechung nicht eindeutig in alle Richtungen. Nur im Hinblick auf eine vertraglich vorgesehene Freistellung des Lieferanten für Rechtsmängel hat der BGH ausgeführt, dass den Lieferanten eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht trifft (BGH wie oben, NJW-RR 2011, 479, 480). Ob eine solche verschuldensunabhängige Haftung für den umgekehrten Fall auch gelten soll, bleibt allerdings unklar. Wenn man jedoch konsequenterweise die Freistellung als vertragliche Verpflichtung zur Abwehr und Freihaltung (wie oben) versteht, dann dürfte es auf ein Verschulden nicht ankommen, wenn das nicht als Voraussetzung im Rahmen der Verpflichtung genannt ist. Allenfalls für einen Sekundäranspruch auf Schadensersatz wegen nicht erfüllter Freistellung (dazu unten) könnte das Verschulden eine Rolle spielen. Der Freistellungsgläubiger muss wohl demnach nur die Geltendmachung des vertraglich bestimmten Drittanspruchs darlegen und gegebenenfalls beweisen; dann ist es bereits Sache des Freistellungsschuldners, den Drittanspruch zu prüfen und zu entscheiden, ob dieser erfüllt oder abgewehrt werden soll; hierzu muss der Freistellungsgläubiger dem Freistellungsschuldner sämtliche Unterlagen und Informationen, die für seine Entscheidung Bedeutung haben, zur Verfügung stellen (Rohlfing, MDR 2012, 259; BGH wie oben, NJW 1983, 1729, 1730).

3. Einstandspflichten des Freistellungsschuldners

Der Freistellungsschuldner soll zunächst verpflichtet sein, Verhandlungen mit dem Dritten über den Bestand und die Höhe der gegen den Freistellungsgläubiger geltend gemachten Forderung aufzunehmen (BGH wie oben, NJW 2002, 2382; NJW 1983, 1729, 1730; Görmer, JuS 2009, 7, 9). Bei einer gerichtlichen Inanspruchnahme muss der Freistellungsschuldner sich wohl am Rechtsstreit beteiligen und dem Freistellungsgläubiger die Auseinandersetzung „inhaltlich abnehmen“, sonst verletzt er seine Freistellungspflicht (BGH wie oben, NJW-RR 2011, 479, 480; zumindest muss der Schuldner wohl Anwälte stellen oder die Kosten übernehmen – Rohlfing, MDR 2012, 258, 259). Teilweise wird gefordert, dass der Freistellungsschuldner für den Fall des Prozessverlusts Sicherheit leisten müsse, etwa durch die Errichtung einer vollstreckbaren Urkunde (Schweer/Todorow, NJW 2013, 2072, 2076).

Befreit der Freistellungsschuldner den Freistellungsgläubiger nicht von begründeten Ansprüchen oder wehrt er unbegründete Ansprüche nicht ab, wenden Rechtsprechung (BGH wie oben, NJW-RR 2011, 479, 480; NJW 2002, 2382; NJW 1983, 1729, 1730) und Literatur (Palandt/Grüneberg, § 257 Rn. 1; MüKoBGB/Krüger, § 257 Rn. 12; Rohlfing, MDR 2012, 257 (259); Armbrüster, LM H. 9/2002 § 241 BGB Nr. 17; jurisPK-BGB/Toussaint, 7. Aufl. 2014, § 257 Rn. 25) die allgemeinen Schadensersatzregeln gem. §§ 280 I, 281 I 1, II BGB wegen einer vertraglichen Pflichtverletzung an (dabei auch mit dem Verschuldenserfordernis). Voraussetzung ist, dass der Freistellungsschuldner über die Inanspruchnahme durch den Dritten informiert und ihm sämtliche das Rechtsverhältnis betreffende Informationen zur Verfügung gestellt wurden. Eine Verletzung der Freistellungspflicht liegt dabei dann wohl erst nach Ablauf einer im Einzelfall zu bestimmenden und angemessenen Frist vor. Hat der Freistellungsschuldner nach Ablauf der Frist seine Freistellungspflicht nicht erfüllt, kann der Freistellungsgläubiger den Drittanspruch – unabhängig davon, ob dieser begründet ist oder nicht – erfüllen und die an den Dritten erbrachte Zahlung oder sonstige Leistung als entstandenen Schaden geltend machen, ohne die Begründetheit des Anspruchs vorab zu prüfen, und der Freistellungsschuldner ist in einem späteren Regressprozess mit dem Einwand ausgeschlossen, dass der Freistellungsgläubiger eine eigenverantwortliche, den Regressanspruch ausschließende Entscheidung getroffen bzw. einen Prozess nicht angemessen geführt habe (BGHZ 190, 7, 26 = NJW 2011, 2719, 2724; BGH, NJW-RR 2011, 479, 480; NJW 2002, 2382; NJW 1970, 1594, 1595). 

Was ist zu tun?

Freistellungsvereinbarungen sind in der Regel als Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eingearbeitet. Dabei sollte möglichst genau spezifiziert werden, wann der Vertragspartner – wohlgemerkt schuldhaft – für welche Fälle einstehen muss. Die generelle, verschuldensunabhängige Freistellungverpflichtung von Ansprüchen Dritter aus Rechten Dritter ist wohl gem. § 307 II Nr. 1, I 1 BGB in AGB unwirksam (BGH, Urteil vom 05.10.2005 – VIII ZR 16/05 = BGHZ 164, 196).