A.   Einführung

Aufgrund des niedrigen Zinsniveaus ist es zurzeit für viele Anleger attrak- tiv, die hohen Darlehenszinsen beste- hender alter Bausparverträge zum Sparen zu nutzen, statt in aktuelle Finanzprodukte zu investieren. Da jedoch die Bausparkassen auf der anderen Seite kaum Möglichkeiten haben, das so in die Kassen fließende Geld gewinnbringend anzulegen, be- steht ihrerseits das Bedürfnis, sich von solchen Altverträgen mit hoher Zinszahlungspflicht zu trennen. Daher ist es in jüngerer Vergangenheit zu Kündigungen bestehender Bauspar- verträge durch die Bausparkassen gekommen. Gerade vor dem Hinter- grund der jüngsten Leitzinssenkung der EZB auf 0 % und der weiterhin expansiven Zinspolitik wird dieses Thema in näherer Zukunft an Praxis- relevanz nicht verlieren.

B.   Gesetzliche  Grundlagen

Die Bausparkassen stützen ihre Kündigungen auf § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB, der dem Darlehensnehmer die Kündigung eines festverzinslichen Darlehensvertrags nach dem Ablauf von zehn Jahren nach dem vollstän- digen Empfang der Darlehensvaluta gestattet. Zum Verständnis sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass nach ganz herrschender Ansicht ein Bausparvertrag ein einheitlicher Dar- lehensvertrag im Sinne der §§488 ff. BGB ist mit der Besonderheit, dass Bausparer und Bausparkasse die Rollen von Darlehensgeber und Darlehensnehmer während der Ver- tragslaufzeit mit Inanspruchnahme des Bauspardarlehens tauschen. Mit den Entscheidungen des OLG Hamm vom 30. Dezember 2015 – 31 U 191/ 151  – und des OLG Stuttgart vom 30. März 2016 – 9 U 171 / 152  – sind einander widersprechende Urteile der Instanzrechtsprechung zu der Frage ergangen, unter welchen Voraussetzungen der Bausparkasse dieses Kündigungsrecht zusteht. Stellvertretend und exemplarisch werden daher die Urteile des OLG Hamm und des OLG Stuttgart vorgestellt.

C.   Nähere Beleuchtung der Urteile

I.  Entscheidung des OLG  Stuttgart

Nachdem das OLG Stuttgart ein Kün- digungsrecht gem. § 488 Abs. 3 BGB aufgrund einer Vollbesparung aus- schließt, beschäftigt es sich mit einer Kündigung gem. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB.

Das OLG lässt offen, ob § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB für Bausparverträge über- haupt anwendbar sei, da das Gericht die Tatbestandsvoraussetzungen als nicht gegeben ansieht. Zwar handele es sich bei einem Bausparvertrag um einen Darlehensvertrag mit gebunde- nem Sollzinssatz im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB, jedoch knüpfe die Norm an den vollständigen Empfang der Darlehensvaluta an. Dieser Zeit- punkt unterliege aufgrund der Mög- lichkeit der Regelung der Auszah- lungsmodalitäten der Disposition der Parteien. Ein Darlehen sei vollständig empfangen, wenn der Darlehensge- ber es dem Darlehensnehmer ent- sprechend der vertraglichen Vereinba- rung in Höhe des Darlehensnettobe- trages zur Verfügung gestellt habe. Soweit Teilzahlungen vereinbart wur- den, liege ein vollständiger Empfang erst mit Zahlung der letzten Rate vor. Jedoch habe der Eintritt der Zutei- lungsreife keinen Einfluss auf die Zahlungspflicht des Regelsparbei- trags. Die Höhe der vereinbarten Darlehensvaluta sei durch Vertrags- auslegung zu ermitteln. Die einzig fest vereinbarte Summe sei die Bauspar- summe, die das Bausparguthaben und das Bauspardarlehen umfasse. Diese allein könne jedoch nicht ohne Weiteres die Darlehensvaluta darstel- len. Unter Heranziehung der Bau- sparbedingungen ergebe sich, dass diese durch die Bausparsumme ge- deckelt sei und somit zwischen dem Mindestsparguthaben von 40 % und 100 % der Bausparsumme liege. Fer- ner sei die Ungewissheit bezüglich des Zeitpunkts des Eintritts der Zu- teilungsreife als auch des Abrufs des Bauspardarlehens zu berücksichtigen. Beide Zeitpunkte seien zumindest mittelbar durch den Bausparer be- stimmbar. Auch vor dem Hintergrund der Besonderheiten von Bausparver- trägen sei nicht davon auszugehen, dass der vollständige Empfang auch den erstmaligen Eintritt der Zutei- lungsreife erfasse. Die Besonderhei- ten würden bereits durch die ABB und sonstige gesetzliche Vorschriften ausreichend berücksichtigt. Ferner sei der vollständige Empfang nicht ausschließlich aus der Perspektive des Schuldners zu beurteilen. Die Bau- sparkasse habe die Interessen der Zweckgemeinschaft der Bausparer wahrzunehmen und somit ein Inter- esse an einem stetigen Zufluss von Sparbeiträgen, um die Zuteilungsmas- se zu vergrößern und so Zuteilungen von Bauspardarlehen zu beschleuni- gen.

Ebenso sieht das Gericht die Voraus- setzungen für eine analoge Anwen- dung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht gegeben. Es liege schon keine planwidrige Gesetzeslücke vor. Den Gesetzgebungsmaterialien lasse sich nicht entnehmen, dass der Eintritt der Zuteilungsreife von der Vorschrift erfasst werden solle. Denn trotz der kleinen Anfrage des Bündnis 90 / Die Grünen vom 4. Februar 2015 hin- sichtlich der bestehenden Rechtsun- sicherheit von Kündigungen durch Bausparkassen aufgrund von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB sei im Gesetzesent- wurf vom 21.12.2015 in Kenntnis der Rechtsunsicherheit auf eine klarstel- lende oder verdeutlichende Auswei- tung des Begriffs des vollständigen Empfangs verzichtet worden, obwohl das Ziel dieses Gesetzesentwurfs die Verbesserung der Reaktionsmöglich- keiten aufgrund der Niedrigzinsphase gewesen sei. Auch sei die Interes- senlage bei Bausparverträgen nicht mit der von „normalen“ Darlehens- verträgen vergleichbar. Zuletzt recht- fertige auch eine Interessenabwä- gung eine analoge Anwendung nicht. Zweck eines Bausparvertrags sei die Erlangung eines zinsgünstigen, nur nachrangig zu sichernden Darlehens unterhalb des Marktniveaus und nicht lediglich die Erlangung der Möglich- keit der Ausübung einer Option zur Erlangung eines Bauspardarlehens. Die ähnlich lautende Formulierung in § 1 Abs. 2 BauSparkG wolle lediglich hervorheben, dass der Auszahlungs- anspruch nicht bereits mit Vertrags- schluss begründet werde, sondern von der eigenen Sparleistung und denen des Bausparkollektivs abhän- gig sei. Der Erhalt des Anspruchs auf Auszahlung sei daher nur notwendi- ges Zwischenziel, dem keine Bedeu- tung im Sinne einer Zweckerreichung beizumessen sei.

II. Entscheidung des OLG Hamm

Das OLG Hamm hält § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB bei der Kündigung von Bauspardarlehen durch die Bauspar- kasse für anwendbar. Die Vorschrift kenne keine Einschränkung in perso- neller Hinsicht auf Verbraucher. Kündigungsrechte des Darlehens- nehmers, der auch Verbraucher ist, fänden sich nun in § 500 BGB. Diese sollen nach Auffassung des Gesetz- gebers die Kündigungsrechte der §§ 489 und 490 BGB ergänzen.

Allerdings sind nach Auffassung des OLG Hamm die Tatbestandsvoraus- setzungen des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch schon gegeben, wenn nach dem ersten Eintritt der Zutei- lungsreife des Bauspardarlehens mehr als zehn Jahre vergangen sind. Dem vollständigen Empfang der Darle- hensvaluta stehe der Eintritt der Zu- teilungsreife gleich. Sinn und Zweck der Norm sei die Schaffung eines Interessenausgleichs, den Darlehens- nehmer vor überlanger Bindung an feste Zinssätze zu schützen. Darüber hinaus sei dies auch geboten, da bei Bausparverträgen bis zum Abruf des Darlehens nach Zuteilungsreife ein fixer Darlehensbetrag nicht feststehe, an dem man sich bei der Anwen- dung von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB orientieren könne. Dies rechtfertige aber keine zeitlich unbegrenzte Ausdehnung, die im Belieben des Bausparers stehe.

Ein derartiges Verständnis der Norm kollidiere auch nicht mit dem Ziel der Vertragsparteien, dass der Bau- sparer ein Recht auf Gewährung des Darlehens durch einseitiges Tun erwerben könne. Dies sei durch Kündigung des Darlehensvertrags und Annahme der Zuteilung weiter- hin möglich.

Letztlich würde der Bausparer auch nicht durch den Beginn der Zehn- Jahres-Frist bei Zuteilungsreife sank- tioniert, da die Vorschrift lediglich dem Schutz der Bausparkasse vor einer überlangen Bindung diene und es dem Bausparer freistehe, die Zuteilung während des Laufs der Frist anzunehmen.

D.  Fazit

Das OLG Stuttgart hat in Kenntnis der Abweichung zu anderen ober- gerichtlichen Entscheidungen die Revision zum BGH zugelassen. Auf- grund der uneinheitlichen Recht- sprechung der Instanzgerichte ist der Bundesgerichtshof gefordert, Rechtssicherheit zu schaffen.

Gerade vor dem Hintergrund des po- litischen Ziels der Bausparverträge – der Förderung von Wohnungsbau und Schaffung von Eigentum – wäre eine zu restriktive Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht förder- lich. Folge könnte ein Wandel der Vertragskultur von Bausparverträgen sein, durch den das Produkt „Bau- sparvertrag“ an Flexibilität und Be- liebtheit einbüßen könnte. Selbst wenn kurzfristig gesehen die Auf- fassung des OLG Stuttgart dem Wohl der Bausparer dient, wäre den Bau-sparern vermutlich auf lange Perspek- tive (bei steigenden Zinsen) nicht geholfen, wenn die Bausparkassen ihre Bausparverträge nicht mehr in der gewohnten Weise anbieten könnten.

Vorzugswürdig erscheint daher die Ansicht des OLG Hamm, die zwar nicht so nah am Wortlaut von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB entlang argumen- tiert, der Interessenlage bei Bauspar- verträgen aber in angemessener Wei- se Rechnung trägt und die Besonder- heiten angemessen berücksichtigt. Insbesondere in Anbetracht der nicht fix festgelegten Darlehenssumme in der Ansparphase scheint die Anknüp- fung des vollständigen Empfangs der Darlehensvaluta im Sinne von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB an den Ein-

tritt der Zuteilungsreife sinnvoll, da deren Eintrittsvoraussetzungen (in der Regel Laufzeit, ausreichendes Bausparguthaben und ausreichende Bewertungszahl) beiden Parteien bei Vertragsschluss abstrakt bekannt sind. Hingegen missachtet eine Anknüp- fung an die vollständige Bausparsum- me den besonderen Charakter des Bausparens, da so die Bausparkasse selbst nicht zum Darlehensgeber wer- den würde. Außerdem würde eine strikte Anwendung der Ansicht des OLG Stuttgart dazu führen, dass § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Bezug auf Bausparverträge bedeutungslos werden würde.

Letztlich bleibt jedoch abzuwarten, wie genau eine Lösung des BGH aussehen wird.