Der Bundesgerichtshof befasst sich in seiner Entscheidung mit der Auslegung eines Patentanspruchs in Abgrenzung zu dem von der Patentschrift mitgeteilten Stand der Technik. Danach ist bei der Auslegung eines Patentanspruchs zu berücksichtigen, dass sich ein Patent mit seiner Lehre von dem in ihm beschriebenen Stand der Technik abzugrenzen sucht. Wird in der Beschreibung ein bekannter Stand der Technik mit dem Oberbegriff eines Patentanspruchs gleichgesetzt, ist den Merkmalen des kennzeichnenden Teils im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demjenigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sollen.

1. Hintergrund der Entscheidung

Die Klägerin, die von der Beklagten in einem Verletzungsrechtsstreit in Anspruch genommen wurde, hat Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht eingereicht und geltend gemacht, das Streitpatent sei mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig. Das Bundespatentgericht hat die Nichtigkeitsklage abgewiesen. Die Klägerin hat hiergegen Berufung eingelegt und weiterhin die Nichtigerklärung des Streitpatents im vollen Umfang begehrt. Der Bundesgerichtshof hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

2. Entscheidungsgründe

Gegenstand des Streitpatents waren Beleuchtungs- und Signalgebungsvorrichtungen in Kraftfahrzeugen, insbesondere Scheinwerfer mit einem Belüftungssystem. Bei derartigen Belüftungssystemen soll der Innenraum des Scheinwerfers belüftet, aber gleichzeitig auch das Eindringen von Wasser, Staub oder Schmutz verhindert werden. Dabei soll auch das Eindringen von Wasser in die vorderen Scheinwerfergehäuse bei Hochdruckwäschen, zum Beispiel im Motorraum eines Fahrzeugs, vermieden werden. Zur Lösung sieht der Stand der Technik einen gewundenen Belüftungsweg vor. Das Streitpatent kritisiert dabei die begrenzte Wirksamkeit der im Stand der Technik vorgesehenen Lösung, weil dort nur gering gewundene Belüftungswege vorgesehen seien.

Zur Verbesserung des Sperreffekts eines solchen Belüftungssystems schlägt das Streitpatent einen gewundenen Weg zur Belüftung des Innenraums vor, der zwei gegenüberliegende Eintrittsöffnungen, einen Eintrittskanal, der quer zur Verbindungslinie der beiden Eintrittsöffnungen liegt, sowie ein Labyrinth mit zweifacher Richtungsänderung, das von den Eintrittsöffnungen ausgehend im Wesentlichen nach oben verläuft, umfasst.

Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Bundespatentgerichts im Ergebnis, wonach das Streitpatent gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik neu und erfinderisch ist, da im Stand der Technik unter anderem ein Labyrinth mit zweifacher Richtungsänderung nicht offenbart und auch nicht nahegelegt war.

Für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs war vor allem das Verständnis des Merkmals des Labyrinths mit zweifacher Richtungsänderung von entscheidender Bedeutung. Der Bundesgerichtshof wies bei der Auslegung des Merkmals des Labyrinths darauf hin, dass sich ein Patent mit seiner Lehre von dem in ihm beschriebenen Stand der Technik abzugrenzen sucht. Wird in der Beschreibung ein bekannter Stand der Technik mit dem Oberbegriff eines Patentanspruchs gleichgesetzt, ist den Merkmalen des kennzeichnenden Teils im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demjenigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sollen.

Eine auch im Streitpatent bereits als Stand der Technik beschriebene Entgegenhaltung offenbarte bereits einen gewundenen Belüftungsweg, der einen ersten Richtungswechsel zwischen Eintrittsöffnungen und Eintrittskanal sowie anschließend einen weiteren zweiten Richtungswechsel vorsah. Gemäß der Lehre des Streitpatents soll dieser aus dem Stand der Technik bereits bekannte gewundene Belüftungsweg zur Verbesserung der Sperrwirkung durch die Ausbildung des erfindungsgemäßen Labyrinths weiterentwickelt werden. Eine Einbeziehung der Richtungsänderung zwischen Eintrittsöffnungen und Eintrittskanal in das erfindungsgemäße Labyrinth hätte zur Folge, dass der mitgeteilte Stand der Technik bereits dieses Merkmal verwirklichte, sodass das erfindungsgemäße Labyrinth die angestrebte Verbesserung des gewundenen Belüftungswegs gegenüber diesem Stand der Technik gerade nicht zum Ausdruck bringe.

Folglich beginne das erfindungsgemäße Labyrinth mit zwei Richtungsänderungen erst jenseits der zweifachen Eintrittsöffnungen nach dem Eintrittskanal. Die von Eintrittsöffnungen und Eintrittskanal gebildete erste Richtungsänderung für den Belüftungsweg sei dabei noch kein Teil des erfindungsgemäßen Labyrinths.

3. Einordnung der Entscheidung

Mit seiner Entscheidung bestätigt der Bundesgerichtshof seine ständige Rechtsprechung, wonach die zulässigen Auslegungsmaterialien auch den in der Beschreibung des Patents mitgeteilten Stand der Technik umfassen (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2007 - X ZR 74/05 - Kettenradanordnung). Eine Auslegung der Patentansprüche muss daher auch immer im Lichte des mitgeteilten Stands der Technik erfolgen. Weiter führt der Bundesgerichtshof insbesondere seine Rechtsprechung zur Auslegung der Patentansprüche in Abgrenzung vom zitierten Stand der Technik fort. So ging der Bundesgerichtshof beispielweise bereits dann von einer einschränkenden Auslegung der Patentansprüche aufgrund des mitgeteilten Stands der Technik aus, wenn das dort Mitgeteilte den Offenbarungsgehalt des Patents so begrenzt, dass aus Sicht des Fachmanns der Patentschrift eine engere Lehre zu entnehmen ist, als der Wortlaut des Patentanspruchs zunächst zu vermitteln scheint (BGH, Urteil vom 26.01.2010 - X ZR 25/06 - Insassenschutzsystemsteuereinheit).

Anmerkungen

Der Bundesgerichtshof fügt mit dieser Entscheidung dem Kanon der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Auslegung von Patentansprüchen einen weiteren, bedeutenden Grundsatz hinzu, der der richterlichen und anwaltlichen Praxis eine wichtige Auslegungshilfe bieten wird. So hat die Entscheidung nicht nur für Rechtsbestandsverfahren Bedeutung, wo in Zukunft ein Neuheitsangriff gestützt auf den vom Patent zitierten Stand der Technik nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich sein wird, sondern kann auch in Verletzungsverfahren von großer Relevanz sein, um für eine enge Auslegung der Patentansprüche zu argumentieren.