BAG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 6 AZR 709/14

Die Parteien streiten über den Zeitpunkt der Beendigung des zwischen ihnen bestehenden Ar-beitsverhältnisses. Die Beklagte betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Im August 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 28. Februar 2014. Hiergegen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Im Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien im Oktober 2013 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 28. Februar 2014 enden sollte. Der Vergleich sah eine Regelung zum vorzeitigen Ausscheiden vor. Danach war die Klägerin berechtigt, mit schriftlicher Erklärung und Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Ta-gen vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis aus zu scheiden. Für den Fall des vorzeitigen Ausschei-dens verpflichtete sich die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung. Mit Schreiben vom 26. Novem-ber 2013 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit, dass die Klägerin zum 30. November 2013 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide. Das Schreiben wurde per Telefax übermittelt. Ein Original wurde nicht übersandt. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Hiergegen erhob die Klägerin wiederum Kündigungsschutzklage und begehrte zudem festzustellen, dass sie zum 30. November 2013 vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist. Das Arbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten fest und wies die Klage im Übrigen ab. Das LAG hat dem Feststellungsantrag stattgegeben.

Die von der Beklagten eingelegte Revision beim BAG war erfolgreich. Nach Auffassung des BAG wurde das Arbeitsverhältnis nicht durch das Telefaxschreiben vom 26. November 2013 zum 30. November 2013 beendet. Bei dem Schreiben handelt es sich um eine Kündigung, die nach § 623 BGB der Schriftform des § 126 BGB bedarf. Die Schriftform wird dadurch erfüllt, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Durch die Unterzeichnung wird der Aussteller der Urkunde erkennbar. § 623 BGB erfasst die Kündigung jedes Arbeitsverhältnisses. Auch die Anzeige des vorzeitigen Ausscheidens nach dem gerichtlichen Vergleich unterfällt dem Formzwang des § 623 BGB. Die dort geregelte Anzeige ist eine einseitige Willenserklärung, die auf die Beendigung des Arbeitsverhält-nisses zu einem bestimmten Termin gerichtet ist. Damit stellt die Anzeige eine Kündigungserklärung dar. Die Schriftform wurde durch die Übersendung der Anzeige per Telefax nicht gewahrt und ist daher nach § 125 Satz 1 BGB nichtig.

Mitbestimmung beim betrieblichen Eingliederungsmanagement

BAG, Beschluss vom 22. März 2016 – 1 ABR 14/14

Der Arbeitgeber streitet mit dem Betriebsrat über die Wirksamkeit eines Spruchs einer Einigungsstelle, in dem es um die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements geht. Der Einigungsstellenspruch sieht für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements die Bildung eines Integrationsteams vor, das sich aus je einem Vertreter des Arbeitgebers und des Betriebsrats zusammensetzt. Das Integrationsteam führt das betriebliche Eingliederungsmanagement mit betroffenen Arbeitnehmern durch, berät über konkrete Maßnahmen, schlägt dem Arbeitgeber Maßnahmen vor und begleitet den nachfolgenden Prozess im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Der Arbeitgeber hat sich gegen den Einigungsstellenspruch zur Wehr gesetzt und begehrt die Feststellung, dass der Einigungsstellenspruch unwirksam ist. Das LAG stellte auf Antrag des Arbeitgebers die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs fest.

Die gegen die Entscheidung des LAG gerichtete Rechtsbeschwerde des Betriebsrats blieb ohne Erfolg. Das BAG stellt fest, dass die Einigungsstelle ihre Zuständigkeit überschritten hat und der Einigungsstellenspruch daher unwirksam ist. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erfasst nur die Aufstellung von Verfahrensgrundsätzen zur Klärung der Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers überwunden und mit welchen Leistungen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. Mit ihrem Spruch hat die Einigungsstelle ihre Zuständigkeit überschritten, indem sie sich nicht auf die Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagement beschränkt, sondern eine Beteiligung eines Integrationsteams für die Umsetzung von Maßnahmen festgesetzt hat, die allein dem Arbeitgeber obliegt.

Altersdiskriminierung durch das Konzept „60+“ für Führungskräfte?

BAG, Urteil vom 17. März 2016 – 8 AZR 677/14

Die Parteien streiten um die Frage der Benachteiligung eines Konzepts, das die Möglichkeit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 60. Lebensjahres gegen Zahlung eines Abfindungsbetrages vorsieht. Der im Oktober 1952 geborene Kläger war bei der Beklagten als Verkaufsleiter PKW in einer der Niederlassungen der Beklagten beschäftigt. Arbeitsvertraglich war eine Befristung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 65. Lebensjahres vereinbart. Als Verkaufsleiter gehörte der Kläger den leitenden Führungskräften an. Die Beklagte führte im Jahr 2003 das Konzept „60+“ für leitende Führungskräfte ein. Das Konzept sah die Möglichkeit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 60. Lebensjahres unter anderem gegen Zahlung einer Abfindung vor. Die Beklagte unterbreitete dem Kläger im Juli 2003 ein entsprechendes Angebot, das dieser bis zum 31. Dezember 2005 annehmen konnte. Der Kläger nahm das Angebot im Dezember 2005 an, womit er mit Ablauf des 31. Oktober 2012 aus dem Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung ausschied. Im Jahr 2012 wurde das Konzept „ 60+“ durch das Konzept „ 62+“ ersetzt, wonach leitende Führungskräfte, die im Jahr 2012 das 57. Lebensjahr vollendeten, ab November 2012 ein Angebot zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 62. Lebensjahres erhalten sollen. Der Kläger hat die Befristung seines Arbeitsverhältnisses nicht mit einer Entfristungsklage angegriffen, sieht sich jedoch durch die Vereinbarung der Befristung seines Arbeitsverhältnisses auf die Vollendung des 60. Lebensjahres und wegen des Alters benachteiligt, weil die Beklagte ihm eine Umstellung seines Arbeitsverhältnisses auf das Konzept „62+“ nicht angeboten hat. Der Kläger verlangt die Feststellung, dass die Beklagte ihm nach § 15 Abs. 1 AGG den aufgrund des vorzeitigen Ausscheidens entstandenen finanziellen Schaden zu ersetzen hat und zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet ist. Das Arbeitsgericht und das LAG haben die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Das BAG ist der Ansicht, dass der Kläger durch die Beklagte keine weniger günstige Behandlung erfahren hat, als andere Personen in vergleichbarer Situation (§ 3 Abs. 1 AGG). Der Kläger wurde nicht anders behandelt als andere leitende Führungskräfte, indem ihm das Konzept „60+“ angeboten wurde. Der Kläger konnte frei darüber entscheiden, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollte oder nicht. Der Kläger ist mit den Arbeitnehmern, die das Angebot auf Abänderung des Arbeitsvertrages nach dem Konzept “62+“ ab November 2012 erhalten haben, nicht vergleichbar, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden war.

Ausschluss von Sozialplanabfindung und Klageverzichtsprämie bei Beschäftigungsmöglichkeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

BAG, Urteil vom 8. Dezember 2015 – 1 AZR 595/14

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer in einem Sozialplan vereinbarten Klageverzichtsprämie. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin eines Unternehmens, das im Jahr 2008 ein Unternehmen aus dem Konzern der Deutschen Telekom AG übernommen hat. In dem Unternehmen wurden auch Beamte beschäftigt, die vor der Postreform bei der Deutschen Bundespost eingesetzt waren. Diese Beschäftigung erfolgte im Rahmen von Arbeitsverhältnissen. Für die Zeit ihrer Beschäftigung in der Privatwirtschaft war ihnen Sonderurlaub erteilt worden. Endet diese Beschäftigung in der Privatwirtschaft, sind sie amtsangemessen einzusetzen oder zu besolden. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten legte ihren Betrieb im Jahr 2013 still und kündigte sämtlichen Arbeitnehmern. Über die Stilllegungsmaßnahme vereinbarte sie einen Sozialplan, der die Zahlung von Abfindungen sowie in einer weiteren Vereinbarung eine Sonderprämie vorsah, die gezahlt wird, wenn die Arbeitnehmer gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses keine Klage erheben. Die beurlaubten Beamten der Deutschen Bundespost waren von beiden Leistungen ausgeschlossen, was diese für gleichheitswidrig hielten.

Die Klagen der beurlaubten Beamten hatten vor dem BAG Erfolg, soweit sie von der Zahlung der Klageverzichtsprämien ausgeschlossen wurden. Eine Betriebsvereinbarung, nach der Arbeitnehmer eine Sonderprämie erhalten, wenn sie auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten, darf nicht solche Arbeitnehmer ausschließen, die im Anschluss an ihre Entlassung anderweitig beschäftigt werden und von der Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens daher absehen. Die Sonderzahlung dient der Planungssicherheit des kündigenden Arbeitgebers. Hierfür kommt es auf das Bestehen einer Anschlussbeschäftigung nicht an.

Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Vergütungsvereinbarung

BAG, Urteil vom 18. November 2015 – 1 AZR 751/13

Die Parteien streiten über die Zahlung von Entgelt. Die Beklagte betreibt eine Kfz-Werkstatt nebst Gebrauchtteilehandel und Abschleppdienst. Der Kläger war bei der Beklagten von Dezember 2009 bis April 2012 als Fahrer für den Abschleppdienst und Pannenhelfer beschäftigt. Er verdiente € 1.000,00 netto monatlich. Die arbeitsvertragliche Regelung hierzu sah vor, dass in der Nettovergütung bereits 30 Einsätze im Monat außerhalb der normalen Arbeitszeit enthalten sind. Not- und Bereitschaftsdienst wird nicht gesondert vergütet. Der Kläger erhält arbeitsvertraglich eine jederzeit frei widerrufliche Zulage für Pannenhilfe und Abschleppen von € 10,00 brutto je Auftrag bzw. je Stunde. Der Kläger war darüber hinaus verpflichtet, im Wechsel mit anderen Kollegen den Notdienst und die Rufbereitschaft in der Werkstatt aufrechtzuerhalten. Für die Übernahme der Rufbereitschaft wird ein Pauschalentgelt bezahlt dessen Höhe frei vom Arbeitgeber festgesetzt wird. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte der Kläger gerichtlich ein weiteres Arbeitsentgelt in Höhe von € 55.768,00 brutto abzüglich gezahlter € 27.000,00 netto geltend. Er war der Ansicht, sein monatliches Gehalt sei durch die umfangreichen, nicht gesondert vergüteten Bereitschaften sittenwidrig niedrig, sodass ihm eine übliche Vergütung von € 1.992,00 brutto monatlich zustehe.

Vor dem BAG hatte der Kläger Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf gesonderte Vergütung der geleisteten Bereitschaften. Diese Vergütung ergebe sich allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit. Der objektive Tatbestand des Lohnwuchers und des wucherähnlichen Geschäfts setzt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus, was regelmäßig anzunehmen ist, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 eines in dem Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tarifentgelts erreicht oder die vereinbarte Vergütung mehr als 1/3 unter dem Lohnniveau der auszuübenden Tätigkeit in der Wirtschaftsregion bleibt. Für die in subjektiver Hinsicht verlangte Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen vom BAG entwickelte Vermutungsregel, dass der objektive Wert einer Arbeitsleistung mindestens doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung sein muss, habe der Kläger nach Ansicht des 1. Senats nicht ausreichend vorgetragen. Eine sittenwidrige Vergütung für die in der Normalarbeitszeit geleistete Arbeit könne nicht dadurch zur Sittenwidrigkeit werden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in Verkennung der Rechtslage Vergütung von Mehrarbeit und Sonderformen der Arbeit vorenthält. In einem solchen Fall sieht die Rechtsordnung stattdessen einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung geleisteter Mehr- und Sonderarbeit vor. Die arbeitsvertragliche Regelung, dass 30 Einsätze im Monat außerhalb der normalen Arbeitszeit in der Monatsvergütung enthalten sind, ist mangels hinreichender Transparenz unwirksam, § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 BGB. Aus der vertraglichen Klausel selbst ergibt sich nicht, welche Arbeitsleistung bei welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden soll. Der Arbeitnehmer kann bei Vertragsschluss nicht erkennen, was ggf. „auf ihn zukommt“ und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss. Der Kläger hat daher nach Ansicht des BAG Anspruch auf gesonderte Vergütung der geleisteten Bereitschaften und der dabei angefallenen Vollarbeit und zwar unabhängig davon, ob es sich bei den Bereitschaften um Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft gehandelt hat.