Das Jahr 2017 hielt einige interessante Gerichtsentscheidungen im Bereich des Handelsvertreterrechts bereit. Inhaltlich findet sich Neues und bereits Bekanntes. Insbesondere das OLG München war sehr aktiv. Umstrittene Fragen klärt der BGH in seiner Entscheidung zur Verjährung des Buchauszugs. Der EuGH äußert sich in gleich zwei Entscheidungen zur Auslegung der Handelsvertreter-Richtlinie. Im Folgenden haben wir Ihnen eine Auswahl der wichtigsten Entscheidungen zusammengestellt.

I. Verjährung des Buchauszugsanspruchs – BGH, 3.8.2017 - VII ZR 32/17, 38/17, 39/17

Der BGH klärt in seinen drei Urteilen bisher umstrittene Fragen im Zusammenhang mit der Verjährung des Buchauszugs, u.a.: Die Verjährung des Anspruchs des Handelsvertreters auf Erteilung eines Buchauszugs nach § 87c Abs. 2 HGB beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Unternehmer dem Handelsvertreter eine abschließende Abrechnung über die diesem zustehende Provision erteilt hat. Eine abschließende Abrechnung liegt vor, wenn der Unternehmer dem Handelsvertreter eine Abrechnung ohne Einschränkungen und Vorbehalte erteilt hat; ob diese vollständig bzw. richtig ist, ist für den Verjährungsbeginn irrelevant.

Die Entscheidungen sind eher unternehmerfreundlich einzustufen, auch deswegen, weil nach Auffassung des BGH der Verjährungsbeginn des Buchauszugsanspruchs nicht – wie oft von Handelsvertreterseite argumentiert – davon abhängig sein soll, dass der Handelsvertreter den Anspruch geltend macht. Laut BGH hätte dieser es sonst in der Hand, die Verjährung beliebig hinauszuzögern. Die Verjährung beginnt zudem auch nicht erst nach Beendigung des Handelsvertretervertrages.

II. Nichtausführung von vermittelten Geschäften: Was hat der Unternehmer zu vertreten? – BGH, 1.6.2017 - VII ZR 277/15

Basics: Der Handelsvertreter hat – vereinfacht gesagt – einen Provisionsanspruch für durch ihn vermittelte und/oder abgeschlossene Geschäfte; und zwar dann, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat (§ 87 Abs. 1 und 87a Abs. 1 HGB). Der Anspruch auf Provision besteht auch dann, wenn feststeht, dass der Unternehmer das vermittelte Geschäft ganz oder teilweise nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist (§ 87a Abs. 3 S. 1 HGB). Der Anspruch entfällt jedoch, wenn und soweit die Nichtausführung auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind (§ 87a Abs. 3 S. 2 HGB).

BGH: Nicht zu vertreten im Sinne des § 87a Abs. 3 S. 2 HGB hat der Unternehmer Umstände, die nicht seinem unternehmerischen oder betrieblichen Risikobereich zuzuordnen sind, wie etwa unvorhersehbare Betriebsstörungen oder rechtswidrige Eingriffe von hoher Hand (Abgrenzung zu BGH, 5.3.2008 - VIII ZR 31/07).

In der sonstigen Praxis gelingt dem Unternehmer der Entlastungsbeweis dagegen eher selten. Der Erfolg der Entlastung des Unternehmers hängt maßgebend von den Umständen des Einzelfalls ab.

III. Form des Buchauszugs – OLG München, 19.7.2017 - 7 U 3387/16

Ein Handelsvertreter begehrte auf dem Klageweg einen Buchauszug „in klarer, übersichtlicher und EDV-verwertbarer Form“. Das OLG München führt hierzu aus:

Der Handelsvertreter hat keinen Anspruch auf Erteilung des Buchauszugs in einer bestimmten Form. § 87c Abs. 2 HGB trifft keine Aussage dazu, in welcher Form der Unternehmer den geschuldeten Buchauszug zu erstellen hat. Der Unternehmer kann also selbst entscheiden, wie er dem Handelsvertreter den Buchauszug erteilt. Er kann die für ihn günstigere oder weniger lästige Form wählen. Eine Verurteilung zur Erteilung eines Buchauszugs „in EDV-verwertbarer Form“ ist nicht vollstreckbar, da nicht bestimmt genug.

Das Urteil dürfte von einer Reihe von Handelsvertretern als kritisch angesehen werden, da in der Praxis Buchauszüge oft in digitaler Form verlangt werden. Unabhängig von einem Anspruch auf einen digitalen Buchauszug stellt sich i.R.d. § 87c Abs. 4 HGB die interessante Frage, ob der Handelsvertreter ein elektronisches Bucheinsichtsrecht hat. Hier sind noch viele Einzelheiten ungeklärt.

IV. Erreichen der Altersgrenze – OLG München, 29.3.2017 - 7 U 4410/16

Eine Klausel, wonach der Handelsvertretervertrag automatisch mit Vollendung des 65. Lebensjahres des Handelsvertreters endet, ist zulässig. Das Gericht erachtet die Klausel zunächst als mit dem AGB-Recht vereinbar. Eine unangemessene Benachteiligung liege nicht vor, da der Handelsvertreter für den Ausfall von Kunden und Provisionen einen Ausgleichsanspruch erhalte. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) lehnt das OLG ebenfalls ab, da der Handelsvertreter keine arbeitnehmerähnliche Person i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG ist und somit der persönliche Anwendungsbereich des AGG schon nicht eröffnet ist. Eine analoge Anwendung des § 41 S. 2 SGB VI, der Arbeitnehmer vor einer Kündigung wegen Erreichens eines gewissen Alters schützen will, auf selbständige Handelsvertreter, lehnt das Gericht ebenfalls ab, da der Gesetzgeber den persönlichen Anwendungsbereich bewusst auf Arbeitnehmer beschränkt habe.

In der Praxis sind vertragliche Kündigungsregelungen oft unwirksam oder vor dem Hintergrund handelsvertreterschützender Normen als kritisch zu sehen. Zum Thema Kündigung des Handelsvertreters, siehe auch das nächste Urteil.

V. Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Handelsvertreters – OLG München, 9.3.2017 - 23 U 2601/16

Werden an die Kündigung des Handelsvertreters wesentliche, die Vertragsbeendigung erschwerende Nachteile geknüpft, kann eine unzulässige Beschränkung der Kündigungsfreiheit zulasten des Handelsvertreters gemäß § 89a Abs. 1 S. 2 HGB vorliegen. Im Fall sah das Gericht eine Klausel als unwirksam an, wonach ein Versicherungsvertreter bei einer Kündigung langfristige, erhebliche Provisionsvorschusszahlungen hätte zurückzahlen müssen. Ob die an die Vertragsbeendigung geknüpften Nachteile von solchem Gewicht sind, dass eine unzulässige Beschränkung des Kündigungsrechts des Handelsvertreters vorliegt, ist eine Frage der Umstände des Einzelfalls; in diese Richtung äußerte sich bereits der BGH im Jahr 2015.

VI. Darlegungs- und Beweislast beim Handelsvertreterausgleich – OLG München, 9.2.2017 - 23 U 4079/15

Grundsätzlich gilt: Der einen Ausgleichsanspruch geltend machende Handelsvertreter ist für die Voraussetzungen des Anspruchs darlegungs- und beweisbelastet.

Im Fall hatte der Unternehmer die Provisionen des Versicherungsvertreters schlicht bestritten. Der Versicherungsvertreter forderte daraufhin (allerdings nur nach Hinweis des Gerichts) einen Buchauszug von dem Unternehmer an. Und hier lag das Problem: Der Versicherungsvertreter wertete den Buchauszug nicht aus, sondern übersandte ihn dem Gericht lediglich als Anlage zur Klage. Das Gericht sah dadurch die Darlegungslast des Klägers als nicht erfüllt an. Der Unternehmer hätte auch nicht detaillierter bestreiten müssen.

Der Versicherungsvertreter hätte sich hier einfach mehr Mühe machen müssen und dem Gericht nicht einfach 27 Kartons Buchauszug unausgewertet übersenden sollen. So sagt das Gericht: „Auch der mit der Auswertung des Buchauszugs verbundene Aufwand führt nicht zu einer Umkehr der Darlegungslast“.

VII. Ausschluss des Handelsvertreterausgleichs wegen Eigenkündigung – OLG München, 2.2.2017 - 23 U 2749/16

Gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 1 1. Alt. HGB hat der Handelsvertreter keinen Ausgleichsanspruch, wenn er das Vertragsverhältnis selbst gekündigt hat. Ausnahme: Ein Verhalten des Unternehmers gibt begründeten Anlass zur Eigenkündigung des Handelsvertreters. Nach Ansicht des Gerichts gibt der Unternehmer nicht schon dann begründeten Anlass zur Eigenkündigung, wenn er es unterlassen hat, dem Handelsvertreter von sich aus eine Reduzierung der Tankstellenpacht anzubieten, um dem Handelsvertreter die Erzielung eines ausreichenden Gewinns zu ermöglichen. Der Unternehmer hat nicht die Verpflichtung, in jedem Fall von sich aus dafür zu sorgen, dass der Handelsvertreter aus dem Betrieb der Tankstelle ein auskömmliches Einkommen erzielen kann. § 89 b Abs. 3 Nr. 1 1. Alt. HGB dient nicht dazu, dem Handelsvertreter zu ermöglichen, sein eigenes unternehmerisches Risiko einseitig auf den Unternehmer zu verlagern.

Zum Hintergrund: Ein Handelsvertreter betrieb eine Tankstelle des Unternehmers. Der Unternehmer eröffnete eine weitere Tankstelle ca. 1,4 km entfernt von der Tankstelle des Handelsvertreters. Die Einnahmen des Handelsvertreters sanken über die Jahre (aus welchen Gründen genau, blieb unklar).

Die interessante Entscheidung des OLG München lässt sich nur bedingt verallgemeinern. Ein Gericht könnte gegebenenfalls einen Ausgleichsanspruch bejahen, wenn eine klare Kausalität zwischen der Eröffnung einer neuen Tankstelle in unmittelbarer Nähe und den Umsatzeinbußen eines bisherigen Tankstellenverwalters besteht.

VIII. Handelsvertreterausgleich bei Umsatzsteigerung mit Altkunden – OLG Celle, 16.2.2017 - 11 U 88/16

Die Entscheidung des OLG ist von großer Bedeutung. Als „wesentliche Umsatzsteigerung“ i.S.d. § 89b Abs. 1 S. 2 HGB sind nach Ansicht des Senats auch Umsatzsteigerungen mit Altkunden um mehr als 50 % zu sehen. Das OLG Celle lehnt unter Berufung auf den Wortlaut der Handelsvertreter-Richtlinie (86/653/EWG vom 18.12.1986) die in der Praxis oft verwendete Faustformel ab, wonach ein Altkunde i.R.d. Handelsvertreterausgleichs erst dann zu berücksichtigen ist, wenn der Handelsvertreter den Umsatz mit ihm um 100 % gesteigert hat.

Das Gericht folgt mit seiner Entscheidung einer starken Meinung in der Literatur. Ob sich die Mindestgrenze in Zukunft weiter verändert, bleibt abzuwarten. Die Entscheidung eröffnet zumindest Raum für neue Argumentationen. Unabhängig von der Berücksichtigung einer quantitativen Veränderung des Umsatzes mit Altkunden für den Ausgleichsanspruch, kommt dieser u.U. auch in Betracht, wenn der Handelsvertreter neue Produkte bei Altkunden platzieren konnte.

IX. Handelsvertreter-Ausgleich nicht international zwingend, wenn Unternehmer in EU ansässig und Handelsvertreters in einem Staat außerhalb der EU tätig – EuGH, 16.2.2017 - C-507/15

Diese Entscheidung zur Handelsvertreter-Richtlinie steht in einer Reihe mit der „Ingmar“-Rechtsprechung des EuGH. In der bekannten „Ingmar“-Entscheidung hatte der EuGH festgestellt, dass Art. 17 und 18 der Handelsvertreter-RL (die den Ausgleichsanspruch betreffen) zwingend anzuwenden sind, wenn der Unternehmer in einem Staat außerhalb der EU ansässig ist, der Handelsvertreter aber innerhalb der EU tätig wird. Im vorliegenden Fall hatte sich das Gericht mit der umgekehrten Situation zu befassen, d.h. Unternehmer ist ansässig in der EU, Handelsvertreter wird außerhalb der EU (Türkei) tätig. In dieser Konstellation sieht der EuGH keinen starken Unionsbezug gegeben. Der durch die Handelsvertreter-RL vorgesehene Schutz erstrecke sich daher nicht auf den in der Türkei ansässigen Handelsvertreter. Ein Ausgleichsanspruch kann somit ausgeschlossen werden.

Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Entscheidung des EuGH, auch hinsichtlich der Auswirkungen auf den anstehenden Brexit, empfehlen wir Ihnen die Urteilsbesprechung von Dr. Benedikt Rohrßen in ZVertriebsR 2017, 182.

X. Rückzahlung der Provision bei teilweiser Nichtausführung des Vertrages – EuGH, 17.5.2017 - C-48/16

Hintergrund: Ein Versicherungsunternehmen beendet von ihrer Versicherungsvertreterin vermittelte Verträge vorzeitig, weil die Kunden die Prämienzahlung eingestellt haben und verlangt auf der Grundlage einer Vertragsklausel von der Vertreterin die anteilige Rückzahlung vorschussweise ausgezahlter Provisionen.

Der EuGH hatte nun insbesondere darüber zu befinden, ob Art. 11 Abs. 1 der Handelsvertreter-RL, wonach der Provisionsanspruch des Handelsvertreters erlischt, wenn der Vertrag zwischen Unternehmer und Drittem nicht ausgeführt wird, auch bei teilweise ausgeführten Geschäften (da die Versicherungsverträge hier erst nach einiger Zeit beendet wurden) gelten soll. Das bejaht der EuGH. Eine Vertragsklausel, wonach Provisionen wegen nur teilweise ausgeführter Geschäfte zurückzuzahlen sind, erachtet der EuGH ebenfalls als wirksam, soweit die Verpflichtung zur Rückzahlung im Verhältnis zum Ausmaß der Nichtausführung steht und der Unternehmer die Nichtausführung nicht zu vertreten hat.

Das Urteil des EuGH ist nicht überraschend. Es steht in Einklang mit der deutschen Rechtsprechung zu § 87a HGB. Anfang des Jahres 2018 finden Sie in der Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht (IWRZ) einen Beitrag, in dem wir die Entscheidung des EuGH und ihre Auswirkungen im Detail beleuchten werden.