Mit seinem Beschluss vom 28. November 2016 (veröffentlicht am 8. Februar 2017) hat der Große Senat des Bundesfinanzhofs („BFH“) den sogenannten „Sanierungserlass“ (BStBl. I 2003, 240; ergänzt durch BStBl. I 2010, 18) des Bundesfinanzministeriums („BMF“) verworfen. Dieser hatte bislang eine Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen über den Weg eines Billigkeitserlasses der Steuerzahlung nach §§ 163, 227 Abgabenordnung („AO“) ermöglicht. Dem widerspricht der BFH in seinem Beschluss und erlaubt Billigkeitserlasse von Steuern auf Sanierungsgewinne nur noch auf Basis einer Einzelfallprüfung und nicht mehr pauschal.

Hintergrund und Historie

Grundsätzlich ist ein betrieblicher Gewinn, der dadurch entsteht, dass einem Steuerpflichtigen Schulden zwecks Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden, steuerbar, da er das Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen erhöht. Die frühere gesetzliche Regelung, wonach Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise steuerfrei erlassen werden konnten (§ 3 Nr. 66 EStG a.F.), wurde mit Wirkung für Wirtschaftsjahre vor dem 1. Januar 1998 abgeschafft, um eine Doppelbegünstigung auf Grund des damals neu eingeführten unbegrenzten Verlustabzugs zu vermeiden.

Eine Steuerbefreiung war fortan nur noch durch Billigkeitsmaßnahmen nach den Vorschriften der AO erreichbar. Die näheren Voraussetzungen einer solchen Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne wurden durch den Sanierungserlass des BMF geregelt, der die Verwaltungspraxis vereinheitlichte. Ertragsteuern auf einen Sanierungsgewinn konnten danach unter ähnlichen Voraussetzungen wie unter der früher geltenden Rechtslage erlassen werden. Eine Einzelfallprüfung persönlicher oder sachlicher Billigkeitsgründe fand nicht statt.

Inhalt des Beschlusses

In seinem Beschluss vom 28. November 2016 hatte der Große Senat des BFH zu entscheiden, ob der Sanierungserlass des BMF dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zuwiderläuft. Nach diesem Grundsatz ist die Verwaltung an höherrangiges Recht gebunden und ihr Handeln bedarf einer gesetzlichen Ermächtigung. Für die Finanzbehörden folgt daraus, dass sie dazu verpflichtet – nicht nur berechtigt – sind, einen entstandenen Steueranspruch festzusetzen und die entsprechende Steuer zu erheben. Der Verzicht auf eine Steuerzahlung bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Eine allgemeine Gesetzesgrundlage für die Nichtversteuerung von Sanierungsgewinnen liegt nach Ansicht des BFH infolge der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. gerade nicht mehr vor. Der Finanzverwaltung sei es verwehrt, durch einen allgemein wirkenden Erlass eigenmächtig eine Steuerbefreiung einzuführen. Weiterhin führt der BFH an, dass die im Erlass genannten Voraussetzungen für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen nicht hinreichend seien, um ohne Weiteres einen Fall sachlicher Unbilligkeit im Sinne der §§ 163, 227 AO darzustellen. Deshalb habe die Finanzverwaltung mit der Schaffung typisierender Regelungen für einen Erlass der Steuer eine rechtswidrige strukturelle Gesetzeskorrektur vorgenommen. Sie verstoße damit gegen das verfassungsrechtlich (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) und einfachrechtlich (§ 85 Satz 1 AO) kodifizierte Legalitätsprinzip.

Auswirkungen auf die Praxis

Die Abschaffung des Sanierungserlasses wird voraussichtlich vielen Unternehmen eine Sanierung erschweren. Die Ausbuchung einer erlassenen Verbindlichkeit führt zu einer Erhöhung des steuerpflichtigen Gewinns, erhöht aber nicht die Liquidität des Unternehmens. Wenn der Sanierungsgewinn nicht in vollem Umfang durch verrechenbare Verlustvorträge neutralisiert werden kann (z. B. auf Grund der sogenannten Mindestbesteuerung), führt die Abschaffung des Sanierungserlasses im Grundsatz zu einer Steuerpflicht und damit zu einer Verschlimmerung der Lage des betroffenen Unternehmens. Dem Steuerpflichtigen stehen zwar – neben bestimmten Alternativgestaltungen zur Vermeidung eines steuerpflichtigen Sanierungsgewinnes – individuelle Billigkeitsmaßnahmen abseits des Sanierungserlasses weiterhin offen. Diese können allerdings nur nach einer Einzelfallprüfung gewährt werden.

Für sanierungsbedürftige Unternehmen bleibt zu hoffen, dass sich der Gesetzgeber, wie derzeit von der Wirtschaft gefordert, in naher Zukunft mit einer – gegebenenfalls rückwirkenden – Kodifikation des Sanierungserlasses oder zumindest einer ähnlichen Regelung befassen wird. Dabei wird der Frage nachzugehen sein, inwieweit die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen eine europarechtswidrige Beihilfe darstellt.