Gun Jumping als Dauerbrenner
Bei Zusammenschlüssen stellt sich vielfach die Frage, ob bestimmte Vollzugshandlungen bereits vor Abschluss der fusionskontrollrechtlichen Prüfung durch die Kartellbehörde den Zusammenschluss zumindest teilweise (zumindest faktisch) vorwegnehmen und somit gegen das Vollzugsverbot verstoßen (sog. Gun Jumping – vgl. hierzu bereits Newsletter 4. Quartal 2010, S. 5 f.). Nun hat das OLG Düsseldorf im Fall Edeka/ Tengelmann mit seinen Beschlüssen vom 9. Dezember 2015 – VI-Kart 1/15 („Vollzugsverbot I“) und vom 15. Dezember 2015 – VI-Kart 5/15 (V) („Vollzugsverbot II“) zwei aufschlussreiche Beschlüsse zum Vollzugsverbot in der Fusionskontrolle verkündet. Beide Entscheidungen des OLG Düsseldorf hängen miteinander zusammen: Während der Beschluss vom „Vollzugsverbot I“ eine einstweilige Anordnung des Bundeskartellamts zur Sicherung des Vollzugsverbots bis zum Abschluss des Fusionskontrollverfahrens betraf, ging es im Beschluss „Vollzugsverbot II“ um entsprechende Regelungen in der Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts.
Entscheidung „Vollzugsverbot I“
Gegenstand der einstweiligen Anordnung des Bundeskartellamts war einerseits die Untersagung der Durchführung eines Rahmenvertrags zwischen EDEKA und Tengelmann. Dieser sah die Bündelung der Warenbeschaffung und die vollständige Übertragung der Zentralregulierung auf Edeka vor. Andererseits untersagte das Bundeskartellamt den Zusammenschlussbeteiligten den Vollzug eines sog. Carve-Out von bestimmten Filialen von Tengelmann: Im Kaufvertrag zwischen EDEKA und Tengelmann war vorgesehen, dass bestimmte Filialen einer bestimmten Region (sog. Carve-Out-Filialen) entweder zu schließen, zu veräußern oder in sonstiger Weise an einen oder mehrere Dritte zu übertragen seien, bevor EDEKA die übrigen Filialen von Tengelmann erwerben würde (vgl. Newsletter 1. Quartal 2015, S. 10).
Ansicht des Bundeskartellamts
Das Bundeskartellamt hat als Rechtsgrundlage für die einstweilige Anordnung sowohl § 60 Nr. 1 Alt. 2 GWB als auch § 32 a GWB herangezogen. Es sah in der vereinbarten Warenbeschaffung und Zentralregulierung einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot, da vom Vollzugsverbot auch Maßnahmen erfasst seien, die bereits im Vorfeld einer Fusion nachteilige wettbewerbliche Wirkungen auslösen würden. Nach Ansicht des Bundeskartellamts sollte dies auch für die Schließung der Carve-Out-Filialen gelten. Das Bundeskartellamt zog die Rechtsgrundlage des § 32 a GWB gleichermaßen heran, da nach seiner Auffassung die Vorwegnahme einzelner Wirkungen des Zusammenschlusses einen Verstoß gegen § 1 GWB/Art. 101 AEUV darstellen würde.
Ansicht des OLG Düsseldorf
Da die Fortsetzungsfestellungsbeschwerde im Hinblick auf das Thema Carve-Out-Filialen unzulässig war, musste sich das OLG Düsseldorf materiellrechtlich nur mit dem Thema gemeinsame Warenbeschaffung und Zentralregulierung befassen. Es erkannte dabei im Hinblick auf die Rechtsgrundlage § 60 Nr. 1 GWB zwar einen Anordnungsanspruch, jedoch keinen Anordnungsgrund. Besonders lesenswert sind die grundsätzlichen Ausführungen des OLG Düsseldorf zum faktischen Vollzug eines Zusammenschlusses (juris-Veröffentlichung, Tz. 75 ff.). Es wird zunächst diskutiert, inwieweit bereits ein sog. Teilvollzug einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot bedeuten könnte. In diesem Zusammenhang war bisher ungeklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen Maßnahmen gegen das Vollzugsverbot verstoßen können, die weder die Voraussetzungen eines Zusammenschlusstatbestands erfüllen noch Teil einer aus mehreren Teilakten bestehenden dinglichen Umsetzung des Zusammenschlusses sind. Es handelt sich dabei um sog. „Vorfeldmaßnahmen“. Hierzu zählen etwa Planungen und Vorbereitungen der künftigen Integration des Zielunternehmens oder rein schuldrechtliche Vertragsbeziehungen, soweit sie nicht faktisch dazu führen, dass der Erwerber Einfluss auf die strategischen Entscheidungsziele des Unternehmens nehmen kann.
Während in der Literatur bisher vielfach die Auffassung vertreten war, dass derartige Vorfeldmaßnahmen nicht unter das Vollzugsverbot fallen, vertrat das Bundeskartellamt in seiner einstweiligen Anordnung die Auffassung, dass das Vollzugsverbot auch solche Vorfeldmaßnahmen erfasse. Dieser weiten Auslegung des Vollzugsverbots hat das OLG eine klare Absage erteilt. Das OLG Düsseldorf sah jedoch die Voraussetzung eines faktischen (Teil-)Vollzugs des Zusammenschlussvorhabens als erfüllt an. Dabei spielte keine Rolle, ob die Zusammen 5 schlussbeteiligten eine Einkaufskooperation bildeten oder – wie im Fall selbst vereinbart – EDEKA für Tengelmann einkaufte. Entscheidend für das OLG Düsseldorf war, dass Tengelmann als Nachfrager auf dem Beschaffungsmarkt wegfiel.
Das OLG Düsseldorf rügte jedoch, dass der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund nicht vorliege. Dem Bundeskartellamt warf es vor, bei der Prüfung des Anordnungsgrunds von seiner Abwägungsermächtigung erklärtermaßen keinen Gebrauch gemacht zu haben. Soweit das Bundeskartellamt pauschal auf eine Beschränkung des Nachfragewettbewerbs auf den LEH-Beschaffungsmärkten abstellte, führte das OLG Düsseldorf aus, dass es sich hierbei allein um die negativen wettbewerblichen Auswirkungen handelte, deren Eintritt durch das Vollzugsverbot verhindert werden soll. Ob und in welchem Umfang durch eine Warenbeschaffung durch EDEKA bis zur Entscheidung in der Hauptsache irreparable Nachteile oder schwere Schäden eintraten, hat das Amt weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.
Soweit das Bundeskartellamt sich auf § 32 a GWB gestützt hatte, rügte das OLG Düsseldorf, dass es für eine solche Rechtsgrundlage an einem Hauptsacheverfahren nach § 32 GWB fehlte. Das Bundeskartellamt hatte eine parallele Durchführung des Fusionskontrollverfahrens und eines Verfahrens nach § 1 GWB nicht nur nicht klar artikuliert, sondern in der Untersagungsentscheidung sich die Einleitung eines Verfahrens nach § 32 GWB und der Prüfung nach § 1 GWB/Art. 101 AEUV ausdrücklich vorbehalten.
Entscheidung „Vollzugsverbot II“
Die Entscheidung „Vollzugsverbot II“ komplettiert die Entscheidung „Vollzugsverbot I“. In der Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts nach Abschluss des Fusionskontrollverfahrens waren die entsprechenden Verbote ebenfalls enthalten. Dort war Gegenstand des Beschwerdeangriffs der Zusammenschlussbeteiligten die Frage, ob ihr streitbefangenes Verhalten (Warenbelieferung von Tengelmann durch EDEKA, Übernahme der Zentralregulierung durch EDEKA und Schließung der Carve-Out-Filialen durch Tengelmann) überhaupt vom gesetzlichen Vollzugsverbot umfasst werde. Während das OLG den Eilantrag von EDEKA in Bezug auf die Warenbelieferung und Zentralregulierung für unbegründet hielt (insofern seiner Beurteilung in der Entscheidung Vollzugsverbot I folgend), wurde dem Eilantrag von Tengelmann hinsichtlich der Schließung der Carve-Out-Filialen stattgegeben. Die Schließung der Carve-Out-Filialen verletze das Vollzugsverbot des § 41 Abs. 1 GWB nicht. Diese Maßnahme setze nämlich das beabsichtigte Fusionsvorhaben zwischen EDEKA und Tengelmann weder ganz oder teilweise noch rechtlich oder tatsächlich um. Mit der Stilllegung der Carve-Out-Filialen sei kein fusionsbedingter Machtzuwachs für EDEKA verbunden. Das OLG Düsseldorf weist ausdrücklich darauf hin, dass es aus kartellrechtlicher Sicht unbedenklich sei, dass EDEKA als potentielle Erwerberin nach ausschließlich eigenen wettbewerblichen Interessen diejenigen Standorte des Zielunternehmens Tengelmann ausgewählt habe, an deren Erwerb es kein Interesse besitze.
Nach der Erteilung der Ministererlaubnis am 17. März 2016 (vgl. dazu Nachrichten in Kürze auf Seite 12) hat Tengelmann eine einstweilige Anordnung zur Aufhebung des Vollzugsverbots für den gemeinsamen Einkauf mit Edeka beim OLG Düsseldorf beantragt.
Fazit
Beide Entscheidungen sind lesenswert, da sie für die schwierige Frage, wann ein Verstoß gegen das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot vorliegt, auch für künftige Fälle weiteren Aufschluss geben. Die Praxis wird daher an den beiden Entscheidungen „Vollzugsverbot I“ und „Vollzugsverbot II“ nicht vorbeikommen.