Februar 2016 Newsletter KARTELLRECHT Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ fragt Brecht in seiner Dreigroschenoper. Im deutschen Einzelhandel stellt sich seit ein paar Tagen die Frage: Was ist schon eine unternehmerische Beschränkung des Wettbewerbs gegen die staatliche Beschränkung des Wettbewerbs? Wieder einmal übertrumpft eine Ministererlaubnis das Bundeskartellamt, das wettbewerbliche Bedenken gegen eine weitere Marktkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel geäußert hatte. Weiterverkaufsbeschränkungen im Internethandel – nächster Akt: Sektoruntersuchung E-Commerce, Bundeskartellamt gegen ASICS und das kurz vor Jahresende ergangene Urteil des OLG Frankfurt zu Markenrucksäcken. Das Oberlandesgericht stärkt die Vertriebshoheit der Markenhersteller, hat aber sicher nicht das letzte Wort zu Plattformverboten und Preissuchmaschinen gesprochen. Unternehmerisch stellt sich die Frage, ob es derzeit sinnvoll ist, den gesamten internationalen Vertrieb an deutschen Maßstäben auszurichten, die zu den strengsten in Europa zählen. Uwe Wellmann verschafft Ihnen einen ersten Überblick. Und eine letzte Prognose: Vom Urteil AC Treuhand des Europäischen Gerichtshofs werden wir in Zukunft noch häufiger hören. Unterstützer von Kartellen leben von nun an gefährlich. Was alles als Unterstützung eines Kartells gewertet werden kann, sagt das Urteil selbst nicht. Dr. Christian Heinichen umreißt seine Folgen. Für weitergehende Fragen zu diesen und anderen kartellrechtlichen Themen steht Ihnen unser Kartellrechtsteam gern zur Verfügung. Georg Philipp Cotta, LL.M. (University of London) Rechtsanwalt, Co-Head der Praxisgruppe Kartellrecht & Beihilfenrecht Dr. Dietmar O. Reich Rechtsanwalt, Co-Head der Praxisgruppe Kartellrecht & Beihilfenrecht I. Kurzmeldungen Kartellrecht Ministererlaubnis für Tengelmann-Übernahme Sigmar Gabriel hat am 12. Januar 2016 angekündigt, die von EDEKA und Kaiser‘s Tengelmann beantragte Ministererlaubnis unter aufschiebenden Bedingungen zu gewähren. Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie überschreibt damit die Untersagung des Bundeskartellamts. Er begründet seine Entscheidung mit dem Erhalt der bestehenden Arbeitsplätze bei Kaiser‘s Tengelmann. Die Bedingungen verlangen demgemäß Zusagen für die Weiterführung der Beschäftigungsverhältnisse sowie tarifvertragliche Regelungen mit ver.di, der NGG und den Betriebsräten. Demgegenüber hatte die Monopolkommission empfohlen, die Ministererlaubnis nicht zu erteilen – auch nicht unter Bedingungen oder Auflagen. Das Bundeskartellamt und die Monopolkommission nahmen übereinstimmend an, dass der Zusammenschluss den Wettbewerb auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten des Lebensmitteleinzelhandels erheblich beschränken würde: Die ohnehin führende Marktstellung von EDEKA würde weiter gestärkt. Mit der Übernahme der rund 450 Filialen von Kaiser‘s Tengelmann durch EDEKA würde für Markenhersteller und VerInhaltsverzeichnis I. Kurzmeldungen Kartellrecht Seite 1 II. Kurzmeldungen Beihilfenrecht Seite 3 III. Aktuell Seite 4 Vertriebsbeschränkungen im Internet-Handel Seite 4 UWG-Novelle 2015: Alles bleibt neu Seite 6 IV. Rechtsprechung Seite 7 EuGH bestätigt Bußgeld gegen Kartellgehilfen Seite 7 Veröffentlichungshinweis Seite 8 Hinweise und Impressum Seite 8 KARTELLRECHT Newsletter Seite 2 Februar 2016 braucher eine der wenigen Alternativen zu EDEKA, REWE und der Schwarz-Gruppe entfallen. Eine Ministererlaubnis kann nach § 42 GWB erteilt werden, „wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist“. Es handelt sich um eine selten genutzte Ausnahme. Zuletzt wurde eine Ministererlaubnis 2008 für die Übernahme des Kreiskrankenhauses Wolgast erteilt. Händler müssen im Selektivvertrieb mit Internetvermittlern zusammenarbeiten dürfen Das Bundeskartellamt hat sein Verfahren gegen Ford, Opel und Peugeot Citroën abgeschlossen. Die Automobilhersteller betreiben jeweils selektive Vertriebssysteme. Um Boni und Verkaufshilfen zu erhalten, mussten ihre Händler sog. Internetstandards einhalten. Darin enthalten war ein faktisches Verbot der Zusammenarbeit der Händler mit Neuwagenportalen wie MeinAuto und autohaus24. Dort können Endkunden einen Neuwagen konfigurieren und einen Preisvorschlag einholen. Auf Wunsch werden sie anschließend an einen Händler vermittelt, mit dem der eigentliche Kaufvertrag geschlossen werden kann und der die weitere Abwicklung übernimmt. In dem Kooperationsverbot sah das Bundeskartellamt eine Wettbewerbsbeschränkung, die auch nicht nach der Vertikal-GVO freigestellt ist. Nach deren Artikel 4 lit. c sind Verkaufsbeschränkungen an Endverbraucher im Selektivvertrieb nicht freistellungsfähig. Auch ein über ein Internetportal vermittelter Verkauf bleibe ein solcher Verkauf an Endverbraucher, so das Bundeskartellamt. „Hochzeitsrabatte“ bei der Übernahme von Plus waren rechtmäßig EDEKA hat ihre Marktmacht missbraucht als sie nach Übernahme der Plus-Supermärkte von Lieferanten Rabatte und bessere Konditionen forderte, so das Bundeskartellamt 2014. Diese „Grundsatzentscheidung zum Anzapfverbot“ (Zitat Bundeskartellamt) hat das Oberlandesgericht Düsseldorf nun aufgehoben und entschieden, dass EDEKA ihre Marktmacht nicht ausgenutzt hat: Die „Hochzeitsrabatte“ seien das Ergebnis von Verhandlungen zwischen annähernd gleich starken Unternehmen gewesen und nach dem gleichen Muster verlaufen wie normale Jahresgespräche. Für den vom Bundeskartellamt exemplarisch untersuchten Sektmarkt gelte, dass EDEKA als Vollsortimenter auf die bekannten Markenartikel der Sekthersteller angewiesen sei. Die Sekthersteller hätten daher die Marktmacht von EDEKA ausgleichen und EDEKAs Ausgangsforderungen im Laufe der Sonderverhandlungen teils erheblich verringern können. Die Gründe für diese Forderungen seien für die Sekthersteller nachvollziehbar gewesen und die Sekthersteller konnten dank der Fusion im Einzelfall tatsächlich Kosten einsparen. Das widerlege die Annahmen des Bundeskartellamts. Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Bundeskartellamt untersagt auch „enge“ Bestpreisklauseln von Booking.com Bestpreisklauseln von HRS verpflichteten Hotels zunächst, dem Online-Hotelportal über alle Buchungskanäle hinweg den jeweils günstigsten Zimmerpreis und die besten Konditionen einzuräumen. Diese Bestpreisklauseln hatte das Bundeskartellamt bereits Ende 2013 untersagt und wurde darin im Januar 2015 vom OLG Düsseldorf bestätigt (siehe Newsletter Kartellrecht Juli 2015). Daraufhin führte Booking.com eine modifizierte, „enge“ Bestpreisklausel ein. Deren Kern war, dass Hotels ihre Zimmer zwar auf anderen Buchungsportalen günstiger anbieten durften, nicht jedoch auf den hoteleigenen Internetseiten. Das Bundeskartellamt hat Booking.com nun auch solche Bestpreisklauseln untersagt: Sie würden den Wettbewerb beschränken, weil für Hotels weiterhin kein Anreiz bestehe, ihre Zimmer auf ihren Internetseiten oder einer neuen Buchungsplattform günstig anzubieten. Das Bundeskartellamt legt damit einen strengeren Maß- stab an als die französischen, italienischen und schwedischen Kartellbehörden. Die Verfügung ist nicht rechtskräftig. Keine Arbeitnehmerhaftung bei gewichtigem Mitverschulden der Geschäftsführung Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat erneut eine Klage eines Mitglieds des Schienenkartells abgewiesen, mit der dieses bei Unternehmensangehörigen Rückgriff für sein Kartellbußgeld nehmen wollte (siehe bereits den Artikel von Dr. Theresa Ilgner in unserem Newsletter Kartellrecht Juli 2015): Ein Verkaufsleiter ist seinem Unternehmen nicht zum Ersatz von Kartellbuß- geldern und Aufklärungskosten verpflichtet, wenn die Unternehmensorgane ein überwiegendes Mitverschulden trifft. Im konkreten Fall hatte die Geschäftsführung das kartellrechtswidrige Absprachesystem geschaffen und die Arbeitnehmer zu dieser Strategie gedrängt. Bundeskartellamt entflechtet Bio-Molkereien Die beiden größten deutschen Bio-Molkereien, die Andechser Molkerei Scheitz und die Molkerei Söbbeke, waren bislang über die französische Molkerei Savenica miteinander verbunden. Savenica hatte sich zunächst 1999 an Andechser beteiligt und übernahm dann in den Jahren 2011 bis 2013 zusätzlich Söbbeke. Nach Auffassung des Bundeskartellamts hat Savenica die fusionskontrollrechtliche Freigabe im Jahr 2011 nur dank einer falschen Darstellung der (sehr starken) Marktstellung der Unternehmen und einer unvollständigen Darstellung der Einflussmöglichkeiten von Savenica auf Andechser erlangt. Das Bundeskartellamt hat deshalb die Savenica-Gruppe mit EUR 90.000 bebußt. Das Bundeskartellamt hat außerdem ein Entflechtungsverfahren eingeleitet. Savenica hat Andechser vor Abschluss des Verfahrens veräußert und damit eine behördliche Entflechtung vermieden. Das Vorgehen des Bundeskartellamts unterstreicht, wie wichtig zutreffende An- KARTELLRECHT Newsletter Seite 3 Februar 2016 gaben in Fusionskontrollverfahren sind und welche Risiken sonst noch Jahre später drohen. BGH „tunt“ den Belieferungsanspruch von KMU Das Unternehmen Techart ist auf das Tuning von Porsche-Fahrzeugen spezialisiert. Porsche muss Techart künftig Neuwagen für die Präsentation in seinen Verkaufsräumen liefern und ihm Zugang zum herstellereigenen Diagnose- und Informationssystem gewähren. Mit der bisherigen Weigerung behindere Porsche als marktstarkes Unternehmen Techart als abhängiges kleineres und mittleres Unternehmen unbillig: Techart sei auf die Leistungen von Porsche angewiesen und habe keine zumutbare Ausweichmöglichkeit. Porsche müsse diesen „unwesentlichen“ Eingriff in seine Vertriebsgestaltungsfreiheit hinnehmen, auch wenn die Unternehmen in keiner andauernden Geschäftsbeziehung standen und Techart sich selbst dazu entschieden hat, sich ganz auf das Tuning gerade von Porsche-Fahrzeugen auszurichten. Tuning-Teile muss Porsche Techart aber nicht liefern, weil die beiden Unternehmen bei solchen Teilen im Wettbewerb stehen. Christoph Heinrich, Rechtsanwalt, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München II. Kurzmeldungen Beihilfenrecht Steuervorbescheide für Fiat in Luxemburg und für Starbucks in den Niederlanden waren verbotene Beihilfen Die Europäische Kommission hat festgestellt, dass Luxemburg der Finanzierungsgesellschaft von Fiat und die Niederlande der Kaffeerösterei von Starbucks rechtswidrig selektive Steuervorteile gewährt haben. Sie hat angeordnet, dass Luxemburg und die Niederlande die nicht entrichteten Steuern einfordern müssen, was zu Nachzahlungen in Höhe von jeweils EUR 20-30 Mio. führen wird. Steuerbescheide seien zwar grundsätzlich ein legales Mittel, um Unternehmen Klarheit über die jeweilige Berechnung der Steuern zu verschaffen. In beiden Fällen erließen die nationalen Steuerbehörden jedoch Steuervorbescheide, die die Steuerschuld der Unternehmen mit künstlichen und komplexen Methoden ermittelten und so erheblich senkten. Im Fall von Starbucks handelte es sich dabei um überhöhte Verrechnungspreise für grüne Kaffeebohnen sowie überhöhte Lizenzgebühren, die Starbucks sonst von keinem anderen Unternehmen verlangte. Im Fall von Fiat Finance and Trade waren die Schätzungen im Steuervorbescheid für das Eigenkapital und dessen Vergütung viel zu niedrig. EU-Kommission kippt auch die belgische Steuerregelung für Gewinnüberschüsse Die Regelung im belgischen Einkommensteuergesetzbuch verringerte die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer um 50-90 Prozent. Sie sollte auf diese Weise einen angeblich bei multinationalen Unternehmen, nicht aber bei eigenständigen nationalen Unternehmen anzutreffenden Gewinnüberschuss ausgleichen. Die auf dieser Grundlage erteilten Steuervorbescheide zugunsten von multinationalen Unternehmen wichen von der üblichen Praxis des belgischen Körperschaftssteuerrechts und dem Fremdvergleichsgrundsatz ab. Die Europäische Kommission bewertet das als selektive Steuervergünstigung, die nach den EU-Beihilfevorschriften unzulässig ist. Belgien muss nun von wenigstens 35 multinationalen Unternehmen die zu wenig gezahlten Steuern nacherheben. Die Europäische Kommission schätzt deren Gesamtsumme auf etwa EUR 700 Mio. EU-Kommission leitet Prüfverfahren zur steuerlichen Behandlung von McDonald‘s in Luxemburg ein Die Europäische Kommission untersucht derzeit in einem förmlichen Verfahren, ob die luxemburgischen Steuerbehörden vom luxemburgischen Steuerrecht und dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Luxemburg und den USA selektiv abgewichen sind und McDonald‘s damit einen rechtswidrigen Vorteil erlangt hat. McDonald’s Europe Franchising hat auf der Grundlage zweier Steuervorbescheide seit 2009 keine Körperschaftsteuer in Luxemburg bezahlt – trotz hoher Gewinne aus von Franchisenehmern entrichteten Lizenzgebühren. Ursprünglich sollte McDonald‘s Europe Franchising von der Körperschaftssteuer in Luxemburg befreit sein, weil die Gewinne in den USA steuerpflichtig seien. Allerdings waren die Gewinne des Unternehmens in den USA nicht steuerpflichtig. Das teilte das Unternehmen den luxemburgischen Behörden mit. Dennoch bestätigten diese in einem zweiten Steuervorbescheid die Befreiung von der Körperschaftssteuer. Die Europäische Kommission prüft derzeit auch Steuervorbescheide betreffend Apple in Irland und Amazon in Luxemburg. Konsultation der EU-Kommission zum vereinfachten Beihilfenverfahren Die Europäische Kommission erwägt eine Überarbeitung oder Abschaffung des vereinfachten Beihilfenverfahrens. Sie hat daher eine Konsultation zur Mitteilung über ein vereinfachtes Verfahren für die Würdigung bestimmter Kategorien staatlicher Beihilfen gestartet. Mit der Konsultation werden Unternehmen, Behörden und KARTELLRECHT Newsletter Seite 4 Februar 2016 Verbände aufgefordert, ihre Erfahrungen mit der Anwendung des vereinfachten Beihilfeverfahrens zu schildern. Stellungnahmen können der Generaldirektion Wettbewerb bis zum 6. April 2016 übermittelt werden. Dr. Theresa Ilgner, Rechtsanwältin, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Brüssel III. Aktuell Vertriebsbeschränkungen im Internet-Handel Der Online-Handel und seine praktische Bedeutung haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Berücksichtigt man nicht nur die Schnelllebigkeit des Mediums Internet, sondern auch die häufig sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen der verschiedenen Marktteilnehmer, ist kaum überraschend, dass zahlreiche Rechtsfragen rund um den Internetvertrieb ungeklärt oder jedenfalls heftig umstritten sind. Aufgrund seiner ordnungspolitischen Funktion steht dabei das Kartellrecht besonders häufig im Fokus. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Online-Vertrieb nicht an nationale Grenzen gebunden ist und auch nicht gebunden sein soll. Um mögliche Beschränkungen des Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt zu verhindern, hat die Europäische Kommission aktuell mehrere Maßnahmen ergriffen: Dazu gehören die groß angelegte Sektoruntersuchung zum E-Commerce (siehe dazu den Artikel von Christoph Heinrich in unserem Newsletter Kartellrecht Juli 2015) sowie die beiden Ende des Jahres 2015 abgeschlossenen Konsultationen zu Geoblocking und Online-Plattformen (siehe dazu den Newsletter November 2015). Tatsächlich wirft gerade der Vertrieb über Online-Plattformen vertriebs- und kartellrechtlich bedeutsame Fragen auf. Verbot von Plattformen wie Amazon, Ebay & Co. Beschränkungen des Online-Handels waren zuletzt immer häufiger Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen wie auch von Ermittlungen des Bundeskartellamtes. Die in der Praxis mit Abstand bedeutsamste Frage war und ist dabei, ob Hersteller ihren Händlern im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems untersagen können, die Vertragswaren auch über Internet-Plattformen Dritter anzubieten („Plattformverbot“). Ein verwandtes Problem ist das Verbot, Waren über Preissuchmaschinen oder Preisvergleichsdienste zu bewerben. Gerade die Hersteller hochwertiger Markenprodukte sehen in dem unkontrollierten Vertrieb über Plattformen (z.B. Amazon, Ebay, Rakuten, Hitmeister) und/ oder Preissuchmaschinen (z.B. Idealo, guenstiger.de, preis.de) eine Gefahr für das eigene Markenimage wie auch für den Verbraucher. Denn anders als bei einem Einkauf im stationären Geschäft des Händlers oder in dessen eigenem Online-Shop, seien beim Vertrieb über eine Plattform dem Kunden häufig dessen tatsächlicher Vertragspartner und damit auch die Herkunft des Produktes nicht eindeutig bekannt. Das gelte auch, wenn der Kunde zum eigenen Online-Shop des Händlers über eine Website gelangt, die das Logo der Plattform trägt. Dem wird entgegnet, dass es in der wirtschaftlichen Realität heute keine klar abgegrenzten Vertriebswege mehr gäbe, sondern sowohl Hersteller, Händler als auch Verbraucher zunehmend das sog. „Multi-Channelling“, d.h. die parallele Nutzung von Internet und stationärem Handel, betreiben. In wettbewerblicher Hinsicht komme Online-Plattformen dabei eine besondere Bedeutung zu. Denn gerade kleinere Händler seien regelmäßig mit einem eigenen Online-Angebot kaum wahrnehmbar und könnten nur durch Präsenz auf einer Plattform über Suchmaschinen auffindbar werden. Zudem würden Endkunden Online-Plattformen nicht (nur) wegen der Preissetzung der dort tätigen Händler, sondern auch wegen der Möglichkeit eines „One-Stop-Shopping“ nutzen. Von Bedeutung seien auch weitere Faktoren wie etwa die Transaktionssicherheit, Lieferzuverlässigkeit und Retourenbedingungen. Gerade die großen Internet-Plattformen wie Amazon oder Ebay hätten zudem inzwischen ein hohes Maß an „Goodwill“ erworben. Anders als vielleicht noch vor einigen Jahren sei es deshalb heute selbst bei hochwertigen Markenprodukten nicht mehr vertretbar, einen Vertrieb über Plattformen pauschal als dem Markenimage abträglich zu betrachten. Rechtslage Ob ein (pauschales) Plattformverbot gegen geltendes Kartellrecht verstößt, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Die bisherige Rechtsprechung deutscher Zivilgerichte ist uneinheitlich. So hat das Landgericht Mannheim im Jahr 2008 eine Vertragsklausel als zulässig bewertet, durch welche der Hersteller Sternjakob seinen Händlern den Vertrieb von Schulranzen und Schulrucksäcken der Marke Scout über Ebay und vergleichbare Internet-Plattformen verboten hatte. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Entscheidung im Jahr 2009 bestätigt und dies mit zulässigen qualitativen Auswahlkriterien begründet. Dagegen hat das Landgericht Berlin den identischen Sachverhalt abweichend beurteilt und die Auffassung vertreten, dass es sich gerade nicht um ein qualitatives Auswahlkriterium, sondern ein generelles Verbot des Warenabsatzes und damit einen Verstoß gegen das Kartellverbot des § 1 GWB handelt. Dies sah das Kammergericht in seiner Berufungsentscheidung Ende 2013 abermals anders und hat die Regelung als eine im Rahmen eines Selektivvertriebs zulässige Qualitätsanforderung bewertet, die zur Wahrung des Images der Marke Scout auch erforderlich sei. Das Gericht war jedoch der Auffassung, dass Stern- KARTELLRECHT Newsletter Seite 5 Februar 2016 jakob das Verbot nicht diskriminierungsfrei umgesetzt habe und hat darin einen anderweitigen Kartellverstoß erkannt. Ebenfalls im Jahr 2013 bewertete das Landgericht Kiel ein Plattformverbot in den Vertriebsverträgen der Firma Casio für Fotokameras als kartellrechtswidrig. Durch sie werde den Händlern der Zugang zu Kunden erheblich erschwert, die Plattformen wegen ihrer besonderen Vorteile wie Angebotstransparenz, lebhaften Preiswettbewerbs und erhöhter Transaktionssicherheit bevorzugen. Das Gericht sah darin eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von § 1 GWB und Art. 101 AEUV, die auch nicht freistellungsfähig sei. Dieser Bewertung hat sich das Oberlandesgericht Schleswig im Jahr 2014 angeschlossen. Zwar hat es ausdrücklich festgestellt, dass ein Unternehmen frei entscheiden dürfe, wie es seinen Vertrieb organisiert. Diese Freiheit finde aber ihre Grenzen in wettbewerbsbeschränkenden Vorgaben. Denn das Plattformverbot bewirke und bezwecke eindeutig eine Einschränkung des Wettbewerbs und sei darauf gerichtet, den Preisdruck des Plattformhandels zu vermeiden. Das Landgericht Frankfurt am Main hat dem Unternehmen Deuter im Juni 2014 untersagt, Händler nur mit Funktionsrucksäcken zu beliefern, wenn sie auf ein Angebot über Amazon und Preissuchmaschinen verzichten; denn darin liege nicht nur ein Verstoß gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV), sondern auch eine unbillige Behinderung im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB. Eine Freistellung von diesem Verbot komme nicht in Betracht. Insbesondere ließen sich die durch das Verbot bewirkten Nachteile für den Preiswettbewerb nicht mit den Vorteilen durch ein verbessertes Markenimage rechtfertigen. Diese Ansicht hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Berufungsverfahren nur hinsichtlich des Verbotes der Bewerbung über Preisvergleichsportale bestätigt: Ein solches Verbot sei – jedenfalls solange keine Luxusgüter vertrieben würden – zur Aufrechterhaltung des Markenimages nicht erforderlich. Nach Auffassung der Verbraucher sei nämlich klar, dass Suchmaschinen nicht dem unmittelbaren Verkauf dienten, sondern lediglich dem Auffinden von Händlern, die das gesuchte Produkt anbieten. Genau das sei bei einem Vertrieb über Internetverkaufsplattformen wie Amazon jedoch anders. Im Gegensatz zu den Preissuchmaschinen erscheine bei Amazon selbst bei Händlershops das Produktangebot als ein solches von Amazon und nicht als Angebot des Fachhändlers. Dem Hersteller werde damit ein Händler „untergeschoben“, mit dem der Hersteller keine Vertragsbeziehung unterhalte und auf dessen geschäftliches Verhalten er keinen Einfluss habe. Dem könne auch nicht entgegen gehalten werden, dass die Präsenz auf Internetverkaufsplattformen für kleinere und mittlere Händler besonders wichtig sei, um deren Wahrnehmbarkeit und Auffindbarkeit zu erhöhen. Denn ein Hersteller von Markenprodukten dürfe grundsätzlich in einem selektiven Vertriebssystem frei entscheiden, unter welchen Bedingungen seine Markenprodukte weiter vertrieben werden. Dies sei zum Schutz der Marke ebenso zulässig wie erforderlich. Dagegen könne ein Hersteller nicht verpflichtet werden, den Verkauf über Amazon zuzulassen und so den Wettbewerb kleiner und mittlerer Unternehmen im Online-Handel zu fördern. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat deshalb in seinem Urteil vom 22. Dezember 2015 das Plattformverbot für kartellrechtlich zulässig erklärt und insoweit die Ausgangsentscheidung des Landgerichts aufgehoben. Es hat ferner die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Die Frankfurter Richter mussten sich nahezu zeitgleich auch mit einem Plattformverbot in den Vertriebsverträgen des Luxuskosmetik-Herstellers Coty befassen. Coty hatte gegen einen Händler geklagt, der die Vertragsprodukte auch über Amazon angeboten und vertrieben hatte. Wie im Fall Deuter hielt das Landgericht Frankfurt am Main das Plattformverbot für kartellrechtswidrig und hat die Unterlassungsklage von Coty im Juli 2014 abgewiesen. Das Gericht wertete das Verbot als unzulässige Kernbeschränkung im Sinne von Art. 4 lit. c. der sog. Vertikal-GVO (Verordnung (EG) Nr. 330/2010), weshalb eine Freistellung vom Kartellverbot zwingend ausscheiden müsse. Das Berufungsverfahren ist derzeit ebenfalls beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main anhängig. Der Kartellsenat hat am 22. Dezember 2015 einen Beweisbeschluss erlassen, weil noch Vorfragen geklärt werden müssen. Aufgrund seiner eindeutigen Positionierung im Verfahren Deuter ist jedoch bekannt, dass der Senat von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Plattformverbotes ausgeht. Auch das Bundeskartellamt hat in den vergangenen Jahren seinerseits eine Reihe von Verwaltungsverfahren gegen die Verwender von Plattformverboten geführt. Zu den bekanntesten Fällen zählen diejenigen gegen die Unternehmen Sennheiser, Adidas und zuletzt ASICS. Sämtliche Verfahren wurden mit freiwilligen Änderungen der Vertriebsverträge einvernehmlich beendigt. An der gerichtlichen Überprüfung der überwiegend kritischen Auffassung des Bundeskartellamtes zu Plattformverboten fehlt es deshalb bisher. Ausblick Der Streit um die Zulässigkeit von Plattformverboten und vergleichbaren Beschränkungen wird weitergehen. Ganz aktuell stehen Klauseln in den Vertriebsverträgen des Grillherstellers Weber auf dem Prüfstand, deren kartellrechtliche Unzulässigkeit die Wettbewerbszentrale gerügt hat. Für die notwendige Sicherheit kann nur eine höchstrichterliche Entscheidung sorgen. Ein entsprechender Fall wird den Bundesgerichtshof wahrscheinlich in naher Zukunft erreichen. Es ist zu vermuten, dass der Bundesgerichtshof den Europäischen Gerichtshof – sofern bis dahin noch nicht geschehen – durch eine oder mehrere Vorlagefragen in die Entscheidungsfindung einbinden wird. Tatsächlich hatte bereits das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in den Verfahren Coty und Deuter die Möglichkeit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof intensiv erwogen. Interessanterweise hatte das Bundeskartellamt eine mögliche Anrufung des EuGH unterstützt, weil ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit bestehe und die maßgeblichen Rechtsfragen deswegen dringend geklärt werden müssten. KARTELLRECHT Newsletter Seite 6 Februar 2016 Das Oberlandesgericht hat aber von einer Vorlage abgesehen, um sie dem Bundesgerichtshof zu überlassen. So wird es vermutlich noch Jahre dauern, bevor in der Frage der Zulässigkeit von Plattformverboten wirklich Rechtssicherheit herrscht. In der Zwischenzeit ist den Herstellern von Markenartikeln eine sorgfältige Prüfung ihrer Vertriebsverträge und Gestaltungsmöglichkeiten anzuraten. Denn letztlich hängt gerade die kartellrechtliche Bewertung von zahlreichen Einzelheiten ab. Die häufig zu vernehmende Auffassung, dass Vertriebsbeschränkungen im Internet – insbesondere Plattformverbote – stets unzulässig sind, ist in jedem Fall falsch. Uwe Wellmann, LL.B. DLS (London), Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin UWG-Novelle 2015: Alles bleibt neu Zusammenfassung ■ Die UWG-Novelle 2015 trat am 10. Dezember 2015 in Kraft und soll auf Druck der Europäischen Kommission nun endlich die Anforderungen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in deutsches Recht umsetzen. ■ Materiell-rechtlich ändert sich wenig. Die Anforderungen des Wettbewerbsrechts an die Rechtsanwender bleiben nahezu unverändert. ■ Die Novelle strukturiert das UWG gesetzestechnisch um und trennt nun deutlicher zwischen verbraucherschützenden Regelungen einerseits und Regelungen, die sonstige Markteilnehmer (z.B. Mitbewerber) schützen andererseits (Details dazu siehe unten). ■ Das UWG 2015 bringt aber durch die Anpassung und Umstrukturierung im Gesetzestext mehr Klarheit und Transparenz für die Rechtsanwendung. ■ Konkreter Handlungsbedarf für die Praxis ergibt sich aus der UWG-Novelle nicht. Insbesondere sind von der Novelle 2015 keine Liberalisierungen im Lauterkeitsrecht zu erwarten. Hintergründe der UWG-Novelle Am 10. Dezember 2015 ist das novellierte Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb in Kraft getreten. Mit der Novelle 2004 wurde zuletzt ein grundlegend neues UWG geschaffen, das bereits 2008 wegen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL) angepasst werden musste. Die UWG-Novelle 2008 versuchte eine „minimal-invasive“ Umsetzung, die sich nicht bewährt hat. Die Europäische Kommission beanstandete die Umsetzung als unzureichend und leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Mit der Novelle 2015 soll nunmehr ein UWG im Einklang mit der UGP-RL geschaffen werden. Letztendlich dient diese Novelle nur der Angleichung des nationalen Gesetzes an die bereits durch die vollharmonisierte UGP-RL geltende europä- ische Rechtslage. Was ändert sich? Die Novelle hat die Generalklausel (§ 3 UWG) umstrukturiert und an die neue Systematik des UWG angepasst. Die Prüfung der Spürbarkeit oder Relevanz eines Wettbewerbsverstoßes findet nicht mehr in der Generalklausel statt. Stattdessen verlangen nun die verbraucherschützenden Normen des neuen UWG (§§ 4 a, 5, 5 a UWG n.F.) ausdrücklich, dass die betreffende Handlung „geeignet sein muss, den Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte“. Auch der in einen eigenen § 3a UWG n.F. ausgegliederte Rechtsbruchtatbestand enthält eine eigene Spürbarkeitsklausel, um Bagatellverstöße besser abgrenzen zu können. Der durch die Novelle 2004 eingeführte Beispielkatalog in § 4 UWG a.F. wird mit der Novelle 2015 aufgelöst. In § 4 UWG n.F. verbleiben lediglich die mitbewerberschützenden Tatbestände des § 4 Nr. 7-10 UWG a.F. Sie bleiben unverändert, lediglich die Nummerierung hat sich geändert. Ein neuer § 4 a UWG verbietet aggressive geschäftliche Handlungen, die bislang nur rudimentär in § 4 Nr. 1 und 2 UWG a.F. behandelt wurden. Die Vorschriften des § 4 a UWG n.F. lehnt sich eng an die Regelung der Art. 8, 9 UGP-RL an. Er geht aber über die UGP-RL hinaus, da § 4a UWG nicht nur Verbraucher, sondern auch andere Marktteilnehmer (z.B. Mitbewerber) schützt. Verbotene aggressive Handlungen sind Belästigungen, Nötigungen oder unzulässige Beeinflussungen, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit des Adressaten erheblich zu beeinträchtigen. Die Vorschrift des § 5 UWG (irreführende geschäftliche Handlungen) wurde inhaltlich nicht verändert. Aus systematischen Gründen wurde lediglich das Spürbarkeitserfordernis direkt in die Vorschrift des § 5 UWG integriert. Die Regelung zur Irreführung durch Unterlassen (§ 5 a UWG) wurde geringfügig an die UGP-RL angepasst. Hier wurde auch der Bereich der getarnten Werbung (bisher § 4 Nr. 3 UWG a.F.) untergebracht. Die besonderen Transparenzgebote für Verkaufsförderungsmaßnahmen (früher § 4 Nr. 4 UWG), Preisausschreiben und Gewinnspiele (früher § 4 Nr. 5 UWG) sind im neuen UWG als eigenständige Regelungen nicht mehr enthalten. Die Anforderungen dürften sich aber unver- ändert aus § 5 a Abs. 3 Nr. 1 oder 4 UWG n.F. ergeben. Die Vorschriften über die vergleichende Werbung (§ 6 UWG) und unzumutbare Belästigungen (§ 7 UWG) bleiben von der Novelle 2015 unverändert. KARTELLRECHT Newsletter Seite 7 Februar 2016 Welche Auswirkungen ergeben sich für die Praxis? Materiell-rechtlich ändert sich für den Rechtsanwender durch die UWG-Novelle 2015 nichts Wesentliches. Die Novelle setzt lediglich die ohnehin geltenden Anforderungen der UGP-RL in den nationalen Gesetzestext um. Das UWG 2015 bringt aber durch die Anpassung und Umstrukturierung im Gesetzestext mehr Klarheit und Transparenz für die Rechtsanwendung. Konkreter Handlungsbedarf für die Praxis ergibt sich aus der UWG-Novelle nicht. Insbesondere sind von der Novelle 2015 keine Liberalisierungen im Lauterkeitsrecht zu erwarten. Dr. Axel von Walter, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Urheberund Medienrecht, Fachanwalt für Informationstechnologierecht, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München IV. Rechtsprechung EuGH bestätigt Bußgeld gegen Kartellgehilfen Wer kartelliert, wird bestraft. Wer Kartelle unterstützt, auch. Unter Berufung auf den effet utile der EU-Wettbewerbsregeln weitet der EuGH den Kreis der für einen Kartellverstoß Verantwortlichen stetig aus. Mütter haften für Kartellverstöße ihrer Töchter; Prinzipale für Kartellverstöße ihrer Handelsvertreter. Unter dem Deckmantel einer „einheitlichen, komplexen und fortdauernden Zuwiderhandlung“ werden Unternehmen für den gesamten Kartellverstoß verantwortlich gemacht, selbst wenn sie nur an einem Teil beteiligt waren. Nunmehr hat der EuGH in seinem Urteil vom 22. Oktober 2015 AC Treuhand/Kommission II bestätigt, dass ein Bußgeld auch gegen die Unterstützer kartellrechtswidriger Absprachen festgesetzt werden kann. Dienstleister und Berater geraten damit (erneut) in den Fokus des europäischen Kartellbuß- geldrechts. Entscheidung Gegen das Votum seines Generalanwalts hat der EuGH in einer aktuellen Grundsatzentscheidung das Bußgeld gegen ein Beratungsunternehmen bestätigt. Das Urteil richtet sich gegen die schweizerische AC Treuhand. Sie organisierte Kartelltreffen und nahm selbst aktiv an ihnen teil. Generalanwalt Nils Wahl hatte sich in seinen Schlussanträgen vom 21. Mai 2015 unter Berufung auf das Legalitätsprinzip gegen eine Bußgeldhaftung des Kartellgehilfen ausgesprochen. Eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV setze voraus, dass ein Unternehmen durch sein Verhalten vollständig oder teilweise davon absieht, Wettbewerbsdruck auf die anderen Wirtschaftsteilnehmer des kartellierten Marktes auszuüben. Fehle es daran, weil das betreffende Unternehmen gar nicht auf diesem Markt tätig ist, falle das Verhalten – so moralisch und ethisch verwerflich es auch sein mag – nicht unter das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV. So der Generalanwalt. Anders der EuGH: Ein Kartellgehilfe muss nicht auf dem kartellierten Markt tätig sein, um bußgeldrechtlich für den Kartellverstoß (mit-)verantwortlich zu sein. Andernfalls wäre die volle Wirksamkeit der EU-Wettbewerbsregeln beeinträchtigt. Es reiche daher aus, dass ein Kartellgehilfe zur Verwirklichung der Kartellziele beitrage und vom Verhalten der kartellbeteiligten Unternehmen wisse oder es zumindest vorhersehen könne. Wer – wie AC Treuhand – die Kartellabsprache kenne und deren Aufrechterhaltung sowie Umsetzung aktiv unterstütze, der beteilige sich vorsätzlich an einer tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkung. Derartige Unterstützungsleistungen sind nach Ansicht des EuGH nur dann nicht tatbestandsmäßig, wenn es sich bei ihnen um „rein nebensächliche Dienstleistungen“ handelt, „die nichts mit den von den (kartellbeteiligten) Herstellern eingegangenen Verpflichtungen und den sich daraus ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen zu tun“ haben. Hintergrund Der EuGH steht mit seinem aktuellen Urteil nicht allein. Bereits 1980 hat die Europäische Kommission entschieden, dass eine Verwaltungs- und Buchführungsgesellschaft, die sich an der Durchführung eines Kartells beteiligt, ebenfalls gegen das Kartellverbot des Art. 101 AEUV verstößt. 2003 setzte die Europäische Kommission gegen AC Treuhand ein symbolisches Bußgeld von EUR 1.000 wegen der Beteiligung am Kartell der Hersteller organischer Peroxide fest. Im Februar 2015 bebußte sie den Broker ICAP, der mehrere Kartelle bei Yen-Zinsderivaten unterstützt und dadurch gegen das Kartellverbot verstoßen hatte. Auch nationale Wettbewerbsbehörden haben bereits Geldbußen gegen Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen wegen deren Tätigkeit als Kartellgehilfen verhängt. So sanktionierte das Bundeskartellamt im Kartellverfahren gegen die Hersteller von Feuerwehrfahrzeugen einen schweizerischen Wirtschaftsprüfer, der in Kenntnis der Kartellabsprache Marktstatistiken erstellt hatte, mit denen die kartellbeteiligten Unternehmen die Einhaltung der Quotenabsprache überprüften. Ebenso hat die niederländische Wettbewerbsbehörde mehrfach Geldbußen gegen unterstützende Beratungsunternehmen festgesetzt. Bewertung Der EuGH zieht den Kreis derjenigen, denen ein Bußgeld wegen der Beteiligung an einem Verstoß gegen die EU-Wettbewerbsregeln droht, sehr weit. Einer Tätigkeit auf dem kartellbetroffenen BEIJING · BERLIN · BRÜSSEL · DÜSSELDORF · FRANKFURT AM MAIN MOSKAU · MÜNCHEN · NÜRNBERG · SHANGHAI · ST. PETERSBURG WWW.BEITENBURKHARDT.COM KARTELLRECHT Newsletter Seite 8 Februar 2016 BEITEN BURKHARDT · RECHTSANWALTSGESELLSCHAFT MBH BERLIN · KURFÜRSTENSTRASSE 72-74 · 10787 BERLIN · TEL.: +49 30 26471-0 · FAX: +49 30 26471-123 UWE WELLMANN · [email protected] BRÜSSEL · AVENUE LOUISE 489 · 1050 BRÜSSEL · TEL.: +32 2 6390000 · FAX: +32 2 7322353 DIETMAR O. REICH · [email protected] MÜNCHEN · GANGHOFERSTRASSE 33 · 80339 MÜNCHEN · TEL.: +49 89 35065-1342 · FAX: +49 89 35065-123 GEORG PHILIPP COTTA · [email protected] 02/2016 Markt bedarf es hierfür nicht. Wer Kartelle vorsätzlich unterstützt, gerät in den Fokus der Kartellbehörden. Ob dies auch bei Fahrlässigkeit gilt, ist bislang nicht entschieden. Nach Ansicht des EuGH reicht es jedoch aus, wenn der Kartellverstoß für den Gehilfen zumindest erkennbar ist. Damit verbleibt eine Unsicherheit für alle diejenigen Rechtsanwälte, Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer und Anbieter von Compliance-Lösungen, die im kartellrechtlich relevanten Umfeld beratend tätig sind. Einen safe harbor sollten die anwaltlichen Berufs- und Standespflichten bilden. Wer seinen Mandanten berufs- und standesrechtlich zulässig berät, muss vor dem Risiko einer bußgeldrechtlichen Inanspruchnahme sicher sein. Andernfalls wäre „die spezifische Funktion des Anwalts als eines Mitgestalters der Rechtspflege“ gefährdet, „der in völliger Unabhängigkeit und in deren vorrangigem Interesse dem Mandanten die rechtliche Unterstützung zu gewähren hat, die er benötigt“ (EuGH, Urt. v. 14.9.2010, Rs. C-550/07 P – Akzo Nobel). Praxishinweis Abschließend noch der Hinweis auf eine „Randbemerkung“, die der EuGH in seinem Urteil beinahe beiläufig äußert. Strafe setzt Vorhersehbarkeit voraus. Vorhersehbar ist die strafrechtliche Relevanz eines Verhaltens auch, wenn sie zwar nicht allein aus dem Gesetzeswortlaut, wohl aber aus dem Wortlaut unter Berücksichtigung seiner aktuellen Auslegung durch die Gerichte erkennbar wird. Und nun geht der EuGH noch einen Schritt weiter: „Mit der Vorhersehbarkeit des Gesetzes ist es nicht unvereinbar, dass die betreffende Person gezwungen ist, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welchen Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. Dies gilt insbesondere für berufsmäßig tätige Personen, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen.“ Anders formuliert: Wer ohne den Rat eines fachkundigen Kartellrechtlers handelt, lebt riskant. Dr. Christian Heinichen, Rechtsanwalt, BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Veröffentlichungshinweise Aktuelle Veröffentlichung Dr. Theresa Ilgner (Brüssel) Entscheidungsanmerkung zu EuGH, 16.07.2015 – C-39/14: Kein Verstoß des deutschen Grundstücksverkehrsgesetzes gegen Unionsrecht, NVwZ 2015, 1747. Hinweise Diese Veröffentlichung stellt keine Rechtsberatung dar. Wenn Sie diesen Newsletter nicht mehr erhalten möchten, können Sie jederzeit per E-Mail (bitte E-Mail mit Betreff „Abbestellen“ an [email protected]) oder sonst gegenüber BEITEN BURKHARDT widersprechen. © BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Alle Rechte vorbehalten 2016. 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