Die Nachbeben der Finanzkrise haben international Wellen von Regulierungsbestrebungen im Finanzmarktrecht ausgelöst. In der Schweiz hat der Bundesrat am 4. November 2015 die Botschaft zum Finanzdienstleistungs- und Finanzinstitutsgesetz zuhanden des Parlaments verabschiedet. Betroffen von den neuen Regelungen sind alle Finanzdienstleister, Kundenberater, Anbieter von Effekten und Ersteller von Finanzinstrumenten. Die geplanten Änderungen betreffen somit gleichermassen Banken, Versicherungen, unabhängige Vermögensverwalter und Versicherungsvermittler.
AUSGANGSLAGE
Die eidgenössischen Räte beraten derzeit die beiden durch den Bundesrat mit Botschaft vom 4. November 2015 verabschiedeten Gesetzesvorlagen betreffend einer sektorübergreifenden Regulierung von Finanzprodukten und Finanzdienstleistungen: Das Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) und das Finanzinstitutsgesetz (FINIG) sollen sich als Teile der neuen Finanzmarktarchitektur einreihen. Als Antwort zum neuen Regelwerk der Europäischen Union – MiFID II – soll die Wettbewerbsfähigkeit des schweizerischen Finanzplatzes durch verbesserten Kundenschutz und die Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen für Finanzintermediäre gestärkt werden.
Hauptanliegen des FIDLEG ist – mit Blick auf die jüngste Finanzkrise – die Stärkung des Kundenschutzes. Es regelt die Voraussetzungen für das Erbringen von Dienstleistungen und das Anbieten von Finanzinstrumenten. Das FINIG fasst die verschiedenen Finanzdienstleisterkategorien unter dem Slogan same risk – same business – same rules zusammen und sieht eine nach Tätigkeit abgestufte Aufsichtsregelung für bewilligungspflichtige Finanzinstitute vor. Beide Gesetze dürften frühestens 2017 in Kraft treten.
FINANZDIENSTLEISTUNGSGESETZ (FIDLEG)
Die heute bestehenden Regelungen für Finanzdienstleistungen sind einerseits in verschiedenen Regelwerken verstreut und enthalten andererseits Lücken insbesondere bezüglich Verhaltens- und Produktregeln. Mit dem FIDLEG soll eine einheitliche Regelung für alle gewerbsmässig auf dem Finanzplatz tätigen Finanzdienstleister erreicht werden. Darunter fallen alle Finanzdienstleister, Kundenberater, Anbieter von Effekten und Ersteller von Finanzinstrumenten. Das FIDLEG adressiert dabei neben Banken auch Versicherungen und unabhängige Vermögensverwalter und Versicherungsvermittler. Durch die damit einhergehende Vergleichbarkeit soll Transparenz im Dickicht der Regelungen für Finanzintermediäre geschaffen werden.
DIE WICHTIGSTEN NEUERUNGEN IN KÜRZE
Um der Schutzbedürftigkeit der jeweiligen Kunden gerecht zu werden, wird mit dem FIDLEG eine Kundensegmentierung eingeführt. Es wird unterschieden zwischen Privatkunden und professionellen sowie institutionellen Kunden. Damit verbunden ist eine dynamische Opting-in- und Optingout- Systematik, mit welcher ein Wechsel innerhalb der verschiedenen Kundensegmente möglich sein soll. Die neuen Verhaltens- und Produktvorschriften bauen auf der Segmentierung auf und sind nach Schutzbedürfnis abgestuft. Die Informations- und Aufklärungspflichten sind entsprechend modular ausgestaltet und sehen entweder eine Angemessenheitsprüfung, die Durchführung einer Eignungsprüfung oder gar keine Prüfung vor. Diese Möglichkeit der „eingeschränkten Beratung“ kennt die MiFID II vergleichsweise nicht. Finanzdienstleister haben sämtliche Tätigkeiten und Vereinbarungen mit dem Kunden in geeigneter Weise zu dokumentieren, insbesondere die Bedürfnisse der Kunden, die Gründe für sämtliche Empfehlungen, die zum Erwerb, zum Halten oder zur Veräusserung eines Finanzinstruments führen.
Zur Berater- und Vermittlertätigkeit werden nur Personen mit ausreichender Aus- und Weiterbildung zugelassen. Der Gesetzesentwurf sieht eine Verantwortung der Finanzdienstleister vor, dies in ihrem Bereich sicherzustellen. Vorgesehen ist ferner ein einheitliches Beraterregister für sämtliche nicht prudenziell beaufsichtigten schweizerischen Finanzdienstleister, somit unabhängige Vermögensverwalter und Trustees, sowie ausländischen Finanzdienstleister ohne Niederlassung in der Schweiz. Bisher durch die FINMA geführte Berufsregister werden aufgehoben. Das FIDLEG sieht eine gesetzliche Regelung der Entgegennahme von Retrozessionen vor. Während MiFID II Retrozessionen gänzlich verbietet, folgt der Entwurf des FIDLEG der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und lässt Retrozessionen grundsätzlich zu, solange der Kunde entsprechend informiert wird und sich ein Bild über den Umfang der für die erbrachte Dienstleistung erhaltenen Gesamtentschädigung machen kann.
Mit dem FIDLEG soll auch eine einheitliche Regelung der Prospektpflichten erreicht werden. Bestehende Prospektpflichten für Aktien, Anleihensobligationen und andere kotierte Finanzinstrumente werden grundsätzlich auf alle Beteiligungs- und Forderungspapiere ausgedehnt und den international anerkannten Standards angeglichen. Für KMU’s sind jedoch Erleichterungen vorgesehen. Für sämtliche Finanzinstrumente, die Privatkunden angeboten werden, soll neu ein Basisinformationsblatt (BIB) abgegeben werden müssen. Für den Fintech-Standort Schweiz besonders erfreulich ist die vorgesehene Schaffung einer alternativen Anlagemöglichkeit in Form des Crowdfunding.
Das FIDLEG sieht auch aus prozessrechtlicher Sicht Massnahmen zur Stärkung des Kundenschutzes vor. Wichtigstes Instrument hierzu ist die Schaffung einer Ombudsstelle. Der Kunde soll ausserdem jederzeit Anspruch auf Herausgabe einer Kopie seines Dossiers haben. Erleichterungen sind auch bezüglich Prozesskostenvorschüssen vorgesehen.
FINANZINSTITUTSGESETZ (FINIG)
Die verschiedenen Finanzintermediäre sind heute unterschiedlich stark reguliert und beaufsichtigt. Während Banken, Versicherungen, Effektenhändler, Fondsleitungen und Vermögensverwalter kollektiver Kapitalanlagen prudenziell beaufsichtigt werden, fallen unabhängige Vermögensverwalter und Trustees durch alle Maschen, sofern sie sich nicht freiwillig einer Selbstregulierungsorganisation („SRO“) anschliessen. Dieser Mangel soll mit dem FINIG behoben werden.
Zweck des FINIG ist die einheitliche, sektorübergreifende Regelung der Aufsicht über alle Finanzdienstleister und deren Bewilligungsvoraussetzungen. Neu sollen auch die unabhängigen Vermögensverwalter zwingend einer Aufsicht unterstehen. Die Überwachung der unabhängigen Vermögensverwalter, Trustees und Edelmetallhändler soll nicht die FINMA direkt übernehmen. Gemäss Vorlage soll hierzu eine durch die FINMA zu bewilligende Aufsichtsbehörde etabliert werden, welche in Anlehnung an das US-amerikanische Model der FINRA (Financial Industry Regulatory Authority) halbstaatlich ausgestaltet werden könnte. Weiterhin der Aufsicht der FINMA unterstehen Verwalter kollektiver Kapitalanlagen, Fondsleitungen und Wertpapierhäuser. Die Aufsicht über Banken bleibt weiterhin im Bankengesetz (BankG) und die Aufsicht über Versicherungen im Versicherungsaufssichtsgesetz (VAG) geregelt. Allerdings werden auch hier zum Zwecke der Harmonisierung mit dem FINIG Anpassungen im BankG und VAG vorgenommen.
INKRAFTTRETEN
Das Parlament ist auf beide Gesetzesvorlagen eingetreten, behält sich jedoch vor, die Vorlagen stark abzuändern und hat das Finanzdepartement deshalb beauftragt, vor Aufnahme der Detailberatung eine Reihe von konkreten Formulierungsvorschlägen zu unterbreiten, und zwar insbesondere zu den Bestimmungen betreffend die Unterstellung der Versicherer und der unabhängigen Vermögensverwalter. Das Inkrafttreten ist frühestens auf den 1. Januar 2017, voraussichtlich jedoch auf den 1. Januar 2018 zu erwarten.
NOTWENDIGE VORKEHRUNGEN
Mit dem Inkrafttreten der beiden Gesetzesvorlagen haben Finanzdienstleister, worunter neu auch unabhängige Vermögensverwalter und Trustees fallen, diverse Verhaltenspflichten und organisatorische Massnahmen einzuhalten und einzuführen, interne Weisungen zu erlassen und die Verantwortung über ihre Mitarbeiter zu übernehmen bzw. diese zu kontrollieren. Das FIDLEG sieht für das Einhalten der Verhaltensregeln keine Übergangsfristen vor.