1 Ausgangslage bei der Unternehmensnachfolge
Familie und Unternehmen – in Familienunternehmen oftmals ein Spannungsfeld zwischen Rationalität und Emotion. Unternehmerische Kriterien wie Wertschöpfung und Wettbewerb stehen familiären Werten wie Unterstützung, Rücksichtnahme, Gleichberechtigung und Hilfe gegenüber. Familienunternehmen sind somit nicht nur Unternehmen, die von einer Familie geführt oder geleitet werden, sondern sie unterscheiden sich von anderen Unternehmen, weil sie eine starke familiäre Bindung und Loyalität aufweisen. 2 Arten der Nachfolge in Familienunternehmen & Nachfolgeplan Eine der grössten Herausforderungen, vor denen Familienunternehmen stehen, ist die Nachfolge. Diese bezieht sich auf die Übergabe der Kontrolle über das Unternehmen von einer Generation der Familie auf die nächste. Wenn die Nachfolge nicht ordnungsgemäss geplant und durchgeführt wird, kann dies zu vielfältigen Problemen führen, einschliesslich eines Rückgangs des Unternehmenswerts, einer ungeplanten Veräusserung des Unternehmens, Unzufriedenheit unter den Familienmitgliedern und geringerer Motivation der übrigen Mitarbeiter. Um eine erfolgreiche Nachfolge in Familienunternehmen zu gewährleisten, ist es wichtig, dass die aktuelle Führungsgeneration einen Nachfolgeplan entwickelt, der den Wünschen und Zielen des Unternehmens, aber auch der Anteilseigener entspricht. Der Nachfolgeplan hat die Nachfolgeregelungen zu enthalten, einschliesslich der Art der Übergabe, beispielsweise Verkauf an einen unabhängigen Dritten oder an familienexterne Manager (familienexterne Unternehmensnachfolge), Verkauf, allenfalls zu einem Vorzugspreis, an ein Familienmitglied, oder rein erbrechtliche Nachfolgeregelung, beispielsweise mittels Erbvorbezug (familieninterne Unternehmensnachfolge). Ebenfalls soll der Nachfolgeplan die Verantwortlichkeiten der Beteiligten festhalten und aufzeigen, welche finanziellen Mittel zur Umsetzung der Unternehmensnachfolge erforderlich sind und zur Verfügung stehen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche finanziellen Mittel allenfalls aus dem Unternehmen an die sich zurückziehende Generation ausgeschüttet werden, um deren Lebensaufwand nach der aktiven unternehmerischen Tätigkeit sicherzustellen. Nicht selten belassen nämlich Unternehmer während der eigenen Tätigkeit substanzielle Mittel im Unternehmen, und verzichten auf die Ausschüttung marktüblicher Löhne oder Dividenden an sich. Wichtig ist ebenfalls, dass die Familienmitglieder über die möglichen Konsequenzen der Nachfolgeregelungen und über ihre Erwartungen an die Person, die das Unternehmen übernehmen wird, informiert und allenfalls einbezogen werden. Dies schafft, zumindest falls geplant ist, dass auch Familienmitglieder, die nicht direkt in die Unternehmensführung eingebunden sind, Anteile am Unternehmen halten, ein Gefühl des Eigentums und der Verantwortung bei der nächsten Generation der Familie und erhöht letztlich die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen erfolgreich weitergeführt wird. Dabei ist auch wichtig, dass Familienmitglieder frühzeitig und regelmässig über die Unternehmensentwicklung informiert werden und einbezogen werden. 3 Entscheide bei der Unternehmensnachfolge Auch wenn allenfalls ein Nachfolgeplan vorhanden ist, muss der bzw. müssen die Unternehmenseigner über die Unternehmensnachfolge entscheiden. Wie soll nun die Nachfolgeregelung konkret aussehen? Soll der „fähiste“ Nachfolger, und wenn ein solcher fehlt, ein Dritter, das Unternehmen oder die Unternehmensanteile des Erblassers allein erhalten? Oder traditionell der Älteste? Oder aus Gründen der Gleichbehandlung die Nachkommenzu gleichen Teilen? Oder ein Nachkomme wird Geschäftsführer und erhält einen Mehrheitsanteil und die übrigen Nachkommen Minderheitsanteile? Soll der Unternehmensnachfolger gegenüber den übrigen Nachkommen finanziell bevorzugt werden oder nicht? Welche Ziele sollen im Unternehmen verfolgt und allenfalls vertraglich vereinbart werden? Steigerung des Unternehmenswerts oder maximale Ausschüttung an die 1 ZÜRICH GENF ZUG LAUSANNE LONDON MADRID Anteilshaber? Oder soll zumindest für alle Nachkommen sichergestellt werden, dass sie aus dem Unternehmen den allgemeinen Lebensaufwand bestreiten können? Sollen, wie die Unternehmensnachfolge auch immer aussehen mag, „Korrekturmassnahmen“ vorgesehen werden, beispielsweise, dass auch den nicht im Unternehmen tätigen Nachkommen gewisse Rechte zukommen sollen? Sollen diese oder deren Nachkommen unter bestimmten Voraussetzungen allenfalls später im Unternehmen mitarbeiten dürfen? Soll über den Tod hinaus das Schicksal des Unternehmens in einem gewissen Mass durch den Erblasser „mitbestimmt“ werden, beispielsweise durch Errichtung einer Unternehmensstiftung? Die Entscheidungen hierüber stellen für jeden Unternehmer einen Meilenstein in seinem geschäftlichen und privaten Umfeld dar – sie können sowohl für die Zukunft des Unternehmens als auch für das Wohlergehen der Familienmitglieder bestimmend sein. So schwer und emotional solche Entscheidungen sind, so wesentlich ist die Schaffung der Grundlagen dazu – auch der rechtlichen. Nachfolgend wird überblicksweise gezeigt, was erbrechtlich gilt und welche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen (zu gesellschaftsrechtlichen Aspekten vgl. Benjamin Dürig/Manuel Diouf/Oliver Arter, Neulich beim Anwalt: Vertragliche und gesellschaftsrechtliche Instrumente der Unternehmensnachfolge). 4 Verzicht auf Gestaltung – Gesetzliches Erbrecht Wenn für die zivilrechtlichen Folgen des Tods nichts vorgekehrt wird, greift das gesetzliche Erbrecht. Gesetzliche Erben sind die Verwandten des Erblassers nach ihrem Verwandtschaftsgrad und der überlebende Ehegatte. Die gesetzlichen Erben werden nach einer Rangordnung bestimmt, die sich nach ihrem Verwandtschaftsgrad zum Erblasser richtet. Das gesetzliche Erbrecht sieht nach der Erbrechtsrevision, welche am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist, folgendermassen aus: Verwandtschaftsgrad Gesetzlicher Erbteil Erblasser mit Ehegatte, ohne Nachkommen und ohne Eltern Ehegatte: 100% Erblasser ohne Ehegatte und mit Nachkommen Nachkommen: 100% Erblasser mit Ehegatte und mit Nachkommen Ehegatte: 50% Nachkommen: 50% Erblasser ohne Ehegatte und ohne Nachkommen, aber mit Eltern Eltern: 100% Erblasser mit Ehegatte und mit Eltern, aber ohne Nachkommen Ehegatte: 75% Eltern: 25% Jeder Erbe erhält so eine bestimmte Quote. Wie die Erbschaft unter den Erben aufgeteilt wird, ist offen, je nachdem ob sich diese einig werden oder nicht. Dies ist für die Nachfolge in Unternehmen eine denkbar schlechte Lösung. Bei Streitigkeiten fehlt es für längere Zeit an Führung, Entscheidungen sind blockiert. Unternehmensverkäufe – nicht selten aus einer schwachen Position heraus – sind oftmals eine Folge davon. Erbschaftsplanung tut deshalb Not. 5 Einsamer Entscheid – das Testament Mittels Testaments lässt sich über den eigenen Nachlass so weit verfügen, als die gesetzlichen Schranken eingehalten werden. Das Testament hat zu Lebzeiten keine Wirkung und kann somit jederzeit frei widerrufen, abgeändert oder vernichtet werden. Mittels Testaments kann der Erblasser unter anderem eine Änderung der gesetzlichen Erbquoten vornehmen, jemanden als Erben einsetzen oder von der Erbschaft ausschliessen, Vor- und Nacherben bezeichnen, Vermächtnisse aussetzen, Teilungsvorschriften, Auflagen oder Bedingungen vorsehen oder einen Willensvollstrecker ernennen. 2 ZÜRICH GENF ZUG LAUSANNE LONDON MADRID Die nächsten Angehörigen des Erblassers haben zwingend Anspruch auf einen gewissen Teil des Nachlassvermögens des Erblassers, welcher ihnen nicht entzogen werden darf. Dieser unentziehbare Anspruch wird als Pflichtteil bezeichnet und beschränkt die Gestaltungsmöglichkeit des Erblassers. Pflichtteilsberechtigt sind die Nachkommen, der überlebende Ehegatte sowie ein eingetragener Partner des Erblassers. Der Erblasser ist deshalb nur im Rahmen der verfügbaren Quote in seinen erbrechtlichen Dispositionen gänzlich frei. Das Pflichtteilsrecht und die verfügbare Quote berechnen sich seit der am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Erbrechtsrevision folgendermassen: Verwandtschaftsgrad Gesetzlicher Erbteil Pflichtteil Verfügbare Quote Erblasser mit Ehegatte, ohne Nachkommen und ohne Eltern Ehegatte: 100% Ehegatte: 50% 50% Erblasser ohne Ehegatte und mit Nachkommen Nachkommen: 100% Nachkommen: 50% 50% Erblasser mit Ehegatte und mit Nachkommen Ehegatte: 50% Nachkommen: 50% Ehegatte: 25% Nachkommen: 25% 50% Erblasser ohne Ehegatte und ohne Nachkommen, aber mit Eltern Eltern: 100% Eltern: 0% 100% Erblasser mit Ehegatte und mit Eltern, aber ohne Nachkommen Ehegatte: 75% Eltern: 25% Ehegatte: 37.5% Eltern: 0% 62.5% Die Erbrechtsrevision hat auf Unternehmensnachfolgen insofern erhebliche Auswirkungen, weil der Pflichtteil der Nachkommen gesenkt wurde und der Pflichtteil der Eltern komplett entfällt. Ein verheirateter Erblasser mit Nachkommen, ein verheirateter Erblasser ohne Nachkommen oder ein verwitweter Erblasser mit Nachkommen kann seit der Erbrechtsrevision über 50% seines Vermögens frei verfügen. Inwieweit Testamente, die unter Bezugnahme auf das alte Erbrecht errichtet wurden, angepasst werden sollten, ist im Einzelfall zu prüfen (vgl. dazu Oliver Arter, Das neue Erbrecht – was gilt ab 1. Januar 2023, Teil 1 – Pflichtteile der Erben). 6 Gemeinsame Regelung – der Erbvertrag Wer urteilsfähig ist und das 18. Altersjahr zurückgelegt hat, kann in einem Erbvertrag als Erblasser mit Zustimmung der künftigen Erben frei über den Nachlass verfügen. Pflichtteile brauchen bei gegenseitigem Einverständnis nicht respektiert zu werden. In Unternehmerkreisen häufig ist der Erbverzicht. Nachkommen, welche nicht für die Unternehmensführung vorgesehen sind, werden vom Erblasser ausgekauft, damit das gesamte Unternehmen oder mindestens die Mehrheit der Unternehmensanteile dem künftigen Nachfolger übertragen werden können. Im Gegensatz zu Testamenten sind Erbverträge für die Beteiligten bindend. Sie können nur durch gegenseitige schriftliche Übereinkunft wieder aufgehoben werden. 7 Was ist inhaltlich möglich? Für die feinere Ausgestaltung bei der Nachlassplanung bestehen diverse Varianten, die sowohl beim Testament als auch beim Erbvertrag vorgesehen werden können. Mittels sog. Auflagen kann der damit beschwerte Erbe zu einem bestimmten Verhalten verpflichten werden. Bezüglich Unternehmen könnte beispielsweise vorgesehen werden, dass nicht für die Unternehmensweiterführung strategische Beteiligungen einer bestimmten Person zuzuweisen sind. Weiter denkbar ist ein Verbot bezüglich des Verkaufes von Unternehmensteilen, Vorschriften, dass nur Unternehmensteile verkauft werden dürfen, die vorgängig anderen Miterben zum Kauf angeboten wurden, oder hinsichtlich zu verfolgender Unternehmensziele. 3 ZÜRICH GENF ZUG LAUSANNE LONDON MADRID Eine andere Möglichkeit sind sog. Bedingungen. Hier wird der Vollzug einer Verfügung von bestimmten Gegebenheiten abhängig gemacht. Denkbar sind sowohl Suspensiv- als auch Resolutivbedingungen. Bei der Suspensivbedingung wird die Verbindlichkeit einer letztwilligen Verfügung vom Eintritt der Bedingungen abhängig gemacht. Im Bereich eines Unternehmens wäre etwa denkbar, dass der Erblasser bestimmt, dass der Nachkomme Unternehmensanteile erhalten soll, welcher eine bestimmte Ausbildung abgeschlossen hat. Bei einer Resolutivbedingung dagegen wird die Auflösung einer Verfügung vom Eintritt der Bedingung abhängig gemacht. Denkbar wäre etwa, dass der Erblasser bestimmt, dass Unternehmensanteile an einen anderen Erben fallen, wenn der mit der Bedingung Belastete bestimmte Ziele nicht erreicht. Um den Fortbestand eines Unternehmens zu sichern, kann der Erblasser einen Erben verpflichten, Erbschaften nach seinem Tod einem Nacherben auszuliefern. Mit der Nacherbeneinsetzung werden zwei Personen gestaffelt als Erben bestimmt. Der Vorerbe erhält nicht nur den Genuss, sondern volle Eigentümerstellung. Der Nacherbe erhält einzig eine Anwartschaft. Mittels Nachbegünstigungen kann damit das Schicksal eines Unternehmens über eine Generation hinweg bestimmt werden. Weiter kann der Erblasser mittels Teilungsvorschriften bestimmen, wer welche Nachlassgegenstände auf Anrechnung an seinen Erbteil, beispielsweise Unternehmensanteile, erhalten soll. Empfehlenswert ist es schliesslich einen Willensvollstrecker einzusetzen. Dieser verwaltet die Erbschaft bis zur Teilung, bezahlt die Schulden des Erblassers, richtet Vermächtnisse aus und führt die Teilung nach den vom Erblasser getroffenen Anordnungen oder nach Vorschrift des Gesetzes aus. Die Einsetzung eines Willensvollstreckers ist ebenfalls vorteilhaft, wenn Streitigkeiten zwischen den Erben befürchtet werden und eine Person vorhanden sein soll, die auch die notwendigen Anordnungen für die Weiterführung des Unternehmens bis zur Erbteilung treffen kann. 8 Gesetzgeberische Entwicklungen Nachlassplanung ist ein zentrales Element für den erfolgreichen Fortbestand eines Unternehmens. Jeder Unternehmer sollte sich deshalb früher oder später damit auseinandersetzen. Weil die Unternehmensnachfolge oft schwierig ist und zu Streitigkeiten zwischen den Erben führen kann, beschäftigt sich aktuell der Gesetzgeber mit dieser Thematik. Die neu vorgesehenen Bestimmungen werden Gegenstand einer Serie von weiteren Beiträgen sein, die mit dem heutigen Beitrag ihren Anfang nahm.